Gibt es im Rundfunk noch Raum für die Kunst? Ein Gespräch mit dem langjährigen Hörspieldramaturgen des BR Herbert Kapfer.

Herbert Kapfer © Robert Kapfer

Der gebürtige Ingolstädter Herbert Kapfer arbeitete seit 1989 als Hörspieldramaturg beim Bayerischen Rundfunk. Von 1996 bis 2017 leitete er die Abteilung Hörspiel und Medienkunst. Dabei beschritt er immer wieder neue Wege. So öffnete er das Hörspiel u.a. für die Popkultur, rief das Festival »intermedium« ins Leben, das 1999 an der Berliner Akademie der Künste und 2002 am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe stattfand, und ließ 2004 unter der Regie von Klaus Buhlert einen zwanzigstündigen »Remix« von Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« erarbeiten, der auch den wissenschaftlich erforschten Nachlass des Schriftstellers miteinbezog. Kapfer, der Projekte mit Alexander Kluge, Elfriede Jelinek und Raoul Schrott realisierte, schied Ende letzten Jahres aus dem Funk aus. Die zeitgleich erschienene Publikation »sounds like hörspiel« im Münchner Belleville Verlag versammelt Kapfers Aufsätze zum Hörspiel und zur Kunst im Massenmedium Radio von 1989 bis 2017. Ein Gespräch über das Hörspiel und seine Zukunft.

Sie haben 21 Jahre lang die Hörspielabteilung des BR geleitet. Fiel Ihnen der Abschied schwer?
Es war eine freie Entscheidung, ich hätte noch zwei Jahre länger arbeiten können. Doch ich will noch etwas anderes in meinem Leben machen. Ich bin dem BR immer dankbar für die Freiheit gewesen, die er mir eingeräumt hat. Auf der anderen Seite habe ich gemerkt, dass meine Vorstellungen von künstlerischer Freiheit und redaktioneller Autonomie nicht mehr so recht in die Zeit passen. Am Schluss war ich sehr viel damit beschäftigt, notwendige künstlerische Freiheiten in den sich verändernden Strukturen zu erhalten.

Kürzlich haben Sie ganz allgemein einen kritischen Blick auf die Veränderung der Medienlandschaft geworfen. In einem Beitrag für epd haben Sie geschrieben: »Das Radio könnte künstlerischen Formen einen großen Stellenwert einräumen, aber das Gegenteil ist der Fall: Zu verzeichnen ist Schwund. Der Rundfunk leidet unter Gedächtnisverlust, ist dabei, seine eigenen Qualität zu vergessen.« Das sind scharfe Worte.
Stimmt. Aber es ist konstruktive Kritik. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die nur auf kommerzielle Medien setzt. Ich habe in den vergangenen Jahren insgesamt bei den Öffentlich-Rechtlichen die Beobachtung gemacht, dass das Verständnis für den Eigenwert des Hörspiels, dass der Respekt vor dieser Kunstform nicht mehr in dem Maße gegeben ist wie früher. Der Dienstleistungsgedanke dominiert. Da tut sich Kunst schwer damit. Doch das ist eher ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das etwa auch an der Universität zu beobachten ist. Überall werden betriebswirtschaftliche Parameter immer wichtiger, wird alles vorgegeben. Aber vielleicht sagt bald eine jüngere Generation: »Wieso steht denn das fest, wie mein Leben, meine Arbeit, verlaufen wird. Ich bin doch gar nicht gefragt worden.« Nicht ausgeschlossen, dass so ein Bewusstsein wieder kommt.

Von welchem Hörspielbegriff haben Sie sich all die Jahre leiten lassen?
Ich habe mich immer auf die Definition von Helmut Heißenbüttel berufen. Der hat in den 60er Jahren von einer »offenen Sendeform« gesprochen, in der alles möglich, alles erlaubt sein sollte. Wie ein Credo habe ich mir das zu eigen gemacht. Ich habe gerne den Künstlern und Regisseuren gesagt, macht, was ihr wollt, und wenn ihr mich braucht, gebt Bescheid, ich bin dafür verantwortlich. Erst jetzt sind mir Zweifel gekommen, ob Heißenbüttel das überhaupt so radikal gemeint hat.

Als Sie Ende der 80er Jahre anfingen, war die Situation allerdings eine andere, von Heißenbüttels Vision war man weit entfernt. Zwar wertschätzte man das Hörspiel, aber größtenteils war es reine Wortkunst. Wie ist man Ihnen und Ihren Ideen damals begegnet?
Manche sagten: Hier kommt der Totengräber des Hörspiels. Mit den vermeintlichen Niederungen der Popkultur wollte man sich damals nicht abgeben. Ich bin davon ausgegangen, dass der Großteil der Hörspiele sowieso zur Konvention tendiert, man selbst also gar nicht extrem und radikal genug sein kann, um der Masse etwas entgegenzusetzen. Doch der Widerstand etwa gegen Loops und harte Schnitte hat sich ja mit der Zeit gelegt.

Erfolgreiche Zusammenarbeit mit Künstlern, Musikern und Regisseuren wie Andreas Ammer, FM Einheit, Hartmut Geerken und Karl Bruckmaier haben sich entwickelt. Viele der BR-Produktionen, häufig Großprojekte, angesiedelt an der intermedialen Schnittstelle zwischen Performance, Live-Hörspiel und experimenteller Literatur, haben alle renommierten Hörspielpreise gewonnen. Insofern ist Ihr Buch, in dem viele der genannten Künstler mit ihren Arbeiten auftauchen, auch eine Art Bestandsaufnahme.
Ich wollte eigentlich, dass es ein kleines Bändchen wird. Es sollte ja keine eitle Veranstaltung werden. Mein Verleger Michael Farin aber trieb mich immer weiter, indem er sagte: »Also, Herbert, wenn da jetzt was über Bruckmaiers Hörspielversion von Peter Weiss’ ›Die Ästhetik des Widerstands‹ drin steht, dann müssen wir auch etwas über Klaus Buhlerts ›Process‹-Regiearbeit aufnehmen« und so weiter. Das Buch ist aber nicht nur eine Art Tätigkeitsnachweis, sondern möchte auch sichtbar machen, dass alle Produktionen einen starken inneren Zusammenhang besitzen, was Kunstkonzepte, medientheoretische und -politische Überlegungen und Positionen betrifft. Ich habe meine Arbeit programmatisch verstanden. Auch was das Institutionelle betrifft. Eben konsequent im ursprünglichen Geist des öffentlich-rechtlichen Auftrags zu argumentieren und den Künstlern einen Ort der Freiheit zur Verfügung zu stellen.

Das Buch ist Elfriede Jelinek gewidmet. Warum?
Ich habe mit Jelinek eine lange Mail-Korrespondenz geführt, die im Zusammenhang mit dem Privatroman »Neid« und der Hörspielbearbeitung stand. Für eine Begleitsendung zum Hörspiel. Meine Fragen wurden im Studio aufgenommen, Jelinek hat die Antworten zu Hause aufgezeichnet. Sie wollte nicht, dass sie als gedruckter Text existieren. Als ich das Buch konzipierte, habe ich sie aber gefragt, ob ich sie umstimmen könnte, und sie hat mir erlaubt, die damaligen 36 Antworten nun abzudrucken. In den letzten Jahren gibt es sehr wenige gedruckte Statements von ihr. Insofern erhält mein Buch dadurch noch mal eine bestimmte Aufwertung.

Wenn Sie aus der Fülle an Projekten, die Sie produziert und angestoßen haben, sagen müssten, was Ihr Favorit ist, was würden Sie sagen?
Das ist schwierig, weil es so viele waren. Wo soll ich anfangen? Bei Rainald Goetz, Thomas Meinecke, Dietmar Dath, Herta Müller, Eran Schaerf? Oder bei Michaela Meliáns Kunstwerk »Memory Loops«? Eine Sache hätte ich allerdings wirklich noch gerne abgeschlossen. Nämlich die dokumentarische Höredition »Die Quellen sprechen. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945«, die in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte realisiert wird. Wir, Katarina Agathos als Chefdramaturgin und ich, haben damit bereits 2012 begonnen. Doch von den insgesamt 16 Bänden, die die textliche Grundlage bilden, sind bislang erst zehn erschienen. Aber für mich ist es wichtig, dieses Projekt angefangen zu haben, weil ich meine, es ist für unsere Gedenkkultur wie für die Geschichte des Rundfunks von unschätzbarem Wert. Alles, was bisher vertont werden konnte, kann man im Internet unter »die-quellensprechen.de« anhören. Mehr als 50 Stunden Dokumente und Aufnahmen mit Zeitzeugen. Und über die künstlerischen Produktionen kann ich nur sagen: Ich habe mit so vielen zusammengearbeitet, die ich als Jugendlicher bewundert habe: Jandl, Mayröcker, Jelinek, Kluge, sogar Yoko Ono.

Sie sehen die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Hörspiels kritisch. Andererseits erlauben es die technischen Möglichkeiten heute jedem, selbst zum Produzenten zu werden.
Das ist einerseits richtig. Das andere aber ist: Wen erreicht man damit? Es werden nicht allzu viele sein, und dann stellt sich die Frage: Ist das überhaupt noch Öffentlichkeit? Aber es stimmt: Sollte es dahin kommen, dass im Rundfunk immer weniger Platz für künstlerische Freiheit existiert, werden die Leute woanders die Kunst machen. Da werden dann möglicherweise auch andere Geschäftsmodelle interessant, das möchte ich nicht ausschließen. Es gibt inzwischen ja auch große private Produzenten, die im kommerziellen Sinne in die Hörspielproduktion investieren. Generell aber gilt: Es gibt heute noch genauso viele Künstler, die fürs Hörspiel schreiben wie zu den angeblichen großen Zeiten in den 50er, 60er Jahren. Jungen Künstlern sage ich heute noch: Ihr habt mit euren Ideen grundsätzlich einen Anspruch, von den Öffentlich-Rechtlichen geprüft zu werden.

Wäre es denn schlimm, wenn andere die Rolle des Produzenten übernehmen würden?
Wie ich das finde? Darüber muss ich erst nachdenken. Ich war ein überzeugter öffentlich-rechtlicher Hörspielproduzent. Vieles ist mit meiner Kollegin Katarina Agathos und dem Hörspielteam entstanden. Ich bin nun in einer Beobachterposition. Werden Sie noch etwas in diesem Bereich machen? Nein, Hörspiel-Management durfte ich lange genug machen. In den nächsten Jahren verfolge ich meine eigenen Interessen: als Herausgeber sozialgeschichtlicher Bücher etwa. Und im nächsten Frühjahr wird im Kunstmann Verlag ein experimenteller Roman von mir erscheinen. ||

HERBERT KAPFER: SOUNDS LIKE HÖRSPIEL. 1989–2017
Belleville, 2017 | 288 Seiten | 24 Euro

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