Frank Castorf inszeniert Leoš Janáčeks »Aus einem Totenhaus« an der Staatsoper.

Bei der Probe: Manuel Günther (Der große Sträfling) und Tim Kuypers (Der kleine Sträfling) | © Wilfried Hösl

Leoš Janáček erlebte die Uraufführung seiner kühnsten und sperrigsten Oper im Jahr 1930 nicht mehr. Es ist ein Musiktheater ohne klassische Liebeshandlung mit kaum stringentem Geschehen und ohne Hauptfiguren. Vielmehr tritt eine Vielzahl Gefangener auf, mal als Chor, mal namenlos oder nur als »Der große Sträfling«, »Der kleine Sträfling« und »Der Koch« bezeichnet, mal mit Namen und der Andeutung eines Charakters. Ausgenommen eine Dirne – sowie der Knabe Aleja, der als Hosenrolle von einer Frau gesungen wird und eine Art Utopie darstellt – treten nur Männer auf. Es sind oft Mörder, die freilich durch die schonungslose Erzählung der Vorgeschichte ihrer Taten durchaus zu Sympathieträgern werden können. Diese Gefangenen streiten sich heftig, werden erneut gewalttätig, organisieren aber auch voller Lust eine Theateraufführung. Am Ende wird Alexandr, der zu Beginn der Oper als politischer Gefangener ins Gefängnis geworfen wurde, freigelassen, den anderen bleibt nur der Hauch einer Hoffnung in Gestalt des Freiheitssymbols eines Adlers – bei Castorf in menschlicher Gestalt –, der als Finale des zugrundeliegenden Romans von Dostojewski in die Steppe humpelt, während bei Janáček das Ende offen bleibt.

Frank Castorf hat fast alle großen Dostojewski-Romane wie »Der Idiot«, »Schuld und Sühne«, »Die Brüder Karamasow« oder »Die Dämonen« auf die Bühne gebracht, denn er ist fasziniert von den Fragen der Moral und Ethik, dem Glauben und den Zweifeln daran, die die Romane des skeptischen Russen durchziehen. Nun inszeniert er die Janáček-Oper nach Fjodor Dostojewskis teilweise autobiografischen »Aufzeichnungen aus einem Totenhaus« auf einer Drehbühne von Aleksandar Denić, der verschiedene Zeitschichten mit allerlei Zitaten in einer verwinkelten hölzernen Barackenarchitektur übereinanderblendet. Von zaristischen Lagern über Gulag und KZs bis hin zu Ablagerungen moderner Gefängnisarchitektur reicht das Spektrum der bildgewordenen Assoziationen. Wie immer gibt es die Ambivalenz von Innen und Außen, die die Enge und das beständige Beobachtetsein ohne Momente des Privaten im Gefängnisalltag auf besondere Weise spiegelt.

Es findet im Bühnenbild darüber hinaus eine geografische Entgrenzung statt, die albtraumhaft Kafkas und Dantes Vorhöllen zitiert oder den mexikanischen Totenkult beschwört. Ebenso düster, schonungslos, rau und kantig wie die Handlung, ist oft die Musik. Sie freilich gibt den erschütternden Geschichten der Insassen voller Eifersucht, Hass und Mord auch immer wieder Wärme, ja fast Zärtlichkeit. Simone Young dirigiert eine von allen späteren Glättungen und auch Veränderungen im Text befreite kritische Neufassung der Partitur durch John Tyrell. Damit ist »Aus einem Totenhaus« erstmals am Nationaltheater außerdem im tschechischen Original zu erleben– mit so renommierten Sängern wie Bo Skovhus, Charles Workman und Peter Rose oder exzellenten jungen Ensemblemitgliedern wie Dean Power, Matthew Grills, Tim Kypers und Johannes Kammler. ||

AUS EINEM TOTENHAUS
Nationaltheater|21. Mai, 3. Juni, 21. Juli| 18 Uhr | 26., 30. Mai, 5., 8. Juni, 30. Juli| 19 Uhr | Tickets: 089 21851903

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