Höchste Intensität! Mit ganz eigenen Erkundungen von Bewegung, Bild, Film und Sound fordern vier niederländische Choreografen die Wahrnehmung heraus.

Die drei Performer Revé Terborg, Stein Fluijt und Johannes Lind in Arno Schuitemakers »If You Could See Me Now« | © Sanne Peper

»Trio A« von Yvonne Rainer ist das wohl nachhaltigste und nachhallendste Werk des Postmodern Dance. Viele Tanzschaffende haben sich damit auseinandergesetzt, ebenso wie mit dem legendären, von Rainer im Umfeld ihres Stückes ab 1965 publizierten »No Manifesto«. Auch die in Amsterdam arbeitende Choreografin Andrea Bozic wagte es, als sie 2012 beim Festival Cover#2 den Auftrag zur Befassung mit einem Stück Tanzgeschichte ihrer Wahl erhielt. Bozics »After Trio A« nun ist nicht als Rekonstruktion oder Re-Enactment gedacht, sondern greift zwei Prinzipien Rainers auf: den Verzicht auf Höhepunkt-Dramaturgie zugunsten einer stetigen Modulation und die Entkrampfung der Akteur-Zuschauer-Beziehung. »After Trio A« tourte mittlerweile höchst erfolgreich, aber es ist immer »neu«, auch in München am 14. Mai bei der Niederland-eWoche im Rahmen von Access to Dance. Denn zwei Tänzer reagieren auf Rainers Stück, indem sie eine Bewegung live erstmals lernen, der eine Performer von einer Video-Aufzeichnung, der andere vom ersten Performer. Alles offengelegt vor dem Zuschauer. Getreu der Devise, mit der Bozic auf »No to spectacle«, den ersten Satz von Rainers »No Manifesto«, antwortete: »Yes to transparency«. Bei Bozicund bei Rainer steht, wie sie sagt, der Zuschauer mit seinem Blick im Zentrum des Werks. »Das Publikum ist eingeladen zu bedenken, was wir sehen und worauf wir achten.«

Wie und was der Blick entscheidet, das lotet die ebenfalls in Amsterdam arbeitende Choreografin Keren Levi in ihrer Video-Tanz-Performance »The Dry Piece« aus (15. Mai im Theater HochX). Denn was die vier nackten Frauen vor und hinter der Projektionsleinwand zeigen, liegt im Auge des Betrachters, sprich den Sehgewohnheiten und dem -vermögen von dessen ästhetischer Bildung zwischen Pornografie, Hochglanz-Ästhetik und feministischer Revision. Der Untertitel »A Ritual of Disappearance« lässt vermuten, dass der Körper der Gewalt des Blicks und dem Regime der Bilder unterliegen könnte. Oder doch nicht, denn Live-Körper sind eine Macht!»Dutch me!«, mit diesem Titel hatte Joint-Adventures-Chef Walter Heun schon einmal im Mai 2009 eine Gastspielwoche präsentiert. Die Wiederholungstat nun, »depARTures« benannt, lohnt sich allemal, so reich und qualitativ hochrangig ist die freie Tanzszene der Niederlande. Wobei man es hier mit einer Art »Amsterdamn me!« zu tun hat, denn alle außer einer residieren in der niederländischen Hauptstadt.

Die im Untertitel versprochenen neuen choreografischen Strategien freilich können sich sehen lassen. Ein intensives Spektrum an Liveness-Momenten eröffnet sich bei Ann Van den Broeks Beschäftigung mit Peter Handkes »Selbstbezichtigung« und ebenso – auf andere Weise – bei Arno Schuitemakers »If You Could See Me Now« (16. Mai in der Reithalle wie die übrigen Stücke). In Schuitemakers drittem Teil einer Trilogie für drei Performer gibt es die volle Dröhnung zwischen Stillstand und Ekstase, Aufruhr und Zerlegung. Vom chilligen Clubbing zu pulsierenden Beats steigern sich die Bewegungswellen schwindeligmachend zum Crescendo, und danach zu weiterer Überraschung.Ann Van den Broek schließlich ist gebürtige Belgierin, hat freilich in Rotterdam studiert und in den Neunzigern sieben Jahre in Amsterdam getanzt. Ihre Kompanie und Produktionsgesellschaft WArd/waRD im belgischen Antwerpen hat auch ein flämisches Bein in den Niederlanden. »Accusations« (18. Mai) ist eine provozierende und hinreißende Installation von Bewegung, Sound, Film und Sprache, die zwischen Begräbnisprozession und Laufsteg changiert, eine Serie von Anklagen und Monologen zu einem harten Konzert verdichtet. »Repetition – fascinating«: Glitzer und Glanz kommen hier aus tiefem Schwarz. ||

DEPARTURES. NEW CHOREOGRAPHIC STRATEGIES IN DUTCH DANCE
Reithalle| Heßstr. 132 | 14./16./18. Mai|| Theater HochX
Entenbachstr. 37 | 15. Mai|| jew. 20.30 Uhr | Publikumsgespräche im Anschluss |Tickets: 089 54818181, Abo und Ermäßigung ab drei Personen: 089 189313713 und f.jaecksch@jointadventures.net | Website

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