Mit dem Projekt »Lua Cão« präsentiert der Kunstverein München eine begehbare filmische Erzählung an den Schnittstellen von Experimentalfilm, Kino und Video.
Fast wie in eine Höhle wird man förmlich in die verdunkelten Räume des Kunstvereins hineingesogen, sobald man die Türe in den Arkaden am Hofgarten passiert hat. Den länglichen Raum im Erdgeschoss dominiert eine scheinbar schwebende Leinwand, auf die ein Projektor ein Filmbild projiziert: Der Blick aus einer Meeresgrotte auf den Horizont, am Himmel drei Sonnen, unheimlich, wie aus einem postapokalyptischen Science-Fiction-Film. Das Projekt »Lua Cão«, das noch bis zum 15. April im Kunstverein zu sehen ist, wird von den Kuratoren als choreografiertes und immersives Bewegtbild-Experiment beschrieben. So kann der erste Raum sowohl als eine Schleuse in eine andere Welt gelesen werden wie auch als Eröffnungssequenz für einen Film, den man sich aktiv ergehen muss. »Lua Cão« ist das Ergebnis von mehr als anderthalb Jahrzehnten künstlerischen Austausches zwischen den portugiesischen Künstlern Alexandre Estrela und dem Künstlerduo João Maria Gusmão & Pedro Paiva. Das Projekt wurde bereits 2016 auf den Azoren und 2017 in Lissabon gezeigt. Für die Ausstellung im Kunstverein wurde es adaptiert und speziell für die Räume am Hofgarten optimiert.
Ein Film erzählt seine Geschichte normalerweise sequenziell. Einzelne Einstellungen sind chronologisch montiert, Schnitte setzen den Rhythmus. Der Film läuft linear auf einer Leinwand oder einem Screen, der Zuschauer rezipiert ihn im Kinosessel oder wahlweise auf seiner Couch, immobilisiert und passiv. Im Kunstverein wird dieses Verhältnis von Bild und Betrachter nun umgekehrt. Das Projekt »Lua Cão«, das aus 21 Filmen, Videos und Bildern besteht, nutzt den Raum als Dimension der Montage, Sequenzen werden nicht hintereinander auf einer Leinwand gezeigt, sie laufen parallel und nebeneinander. Zahlreiche Leinwände unterschiedlicher Größen sind in den verdunkelten drei Hauptsälen im ersten Stock platziert; Projektoren, digitale wie analoge, werfen bewegte Bilder darauf und schaffen so Bildräume, die durchschritten werden wollen. Als Besucher kollagiert man die auf die Leinwände projizierten Bildsequenzen selbst, schafft durch den individuellen Blick eine eigene Montage der Bilder im Raum. Man schweift von Filmen exotischer Tiere und Zeitlupenaufnahmen einer Welle zu dokumentarischen Sequenzen ritueller Handlungen. Es werden Assoziationen zu dystopischen Räumen, rätselhaften Pflanzen und Expedition ins Mythische geweckt. Neben Leinwänden werden Bildsequenzen auch auf Glasoberflächen und Objekte projiziert, der Film hat das Dispositiv des Kinos hinter sich gelassen.
Die von Natxo Checa, dem Direktor der Zé dos Bois Gallery in Lissabon, mitorganisierte Ausstellung ist in fünf Konstellationen angeordnet. Alle fünfzehn Minuten wechseln die Bildsequenzen, durch ein vorgegebenes Skript choreografiert. Ein Filmvorführer bedient die Projektoren und beantwortet geduldig Fragen zur Ausstellung. Durch die unterschiedlichen Längen der einzelnen Filmfragmente und deren Abläufe bilden sich organisch wechselnde Paarungen, kontinuierlich entstehen neue Bezüge zueinander. Aufgrund der besonderen Präsentationsform wird die Ausstellung nur Donnerstag bis Sonntag, von 17 bis 21Uhr geöffnet. Die Filmsequenz beginnt sofort und läuft dann für vier Stunden. Und es lohnt sich, eine Spielfilmlänge dabeizubleiben. Untermalt werden diese Bild-Welten und Raum-Bilder von Tonspuren, die zwischen poetischen und satt monotonen Klängen wechseln.
Der Titel des Projekts bezieht sich auf ein seltenes optisches Phänomen, bei dem das Licht des Mondes wie in einem Kranz gebrochen wird und »Nebenmonde« erscheinen. Es ist konzeptionell um zwei längere Filmarbeiten herum strukturiert: Alexandre Estrelas »Viagem ao Meio« (Travel to the Middle, 2010), ein zweistündiges konkretes Film- und Video-Experiment, das in einem Vulkan produziert wurde, und Gusmãos und Paivas »Papagaio« (2014), ein vierzigminütiger Film, der sich der Thematik des Voodoo widmet. Aufgeschlüsselt, kombiniert und im Raum aufgelöst ergeben diese Einzelteile – zusammen mit den anderen Elementen und Bildern – ein enigmatisches und doch sinnliches Filmwerk, das die Grenzen des Kinos hinterfragt und den Rezipienten zum Regisseur seiner individuellen Filmwahrnehmung macht. ||
ALEXANDREESTRELA + JOÃO MARIA GUSMÃO & PEDROPAIVA: LUA CÃO
Kunstverein München| Galeriestr. 4 | bis 15. April| Do bis So 17–21 Uhr | Führungen: 13. März/10. April,19 Uhr | Eine zweisprachige literarische Publikation der Künstler erscheint in der »Companion«-Reihe des Kunstvereins bei Roma Publication
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