Das 9. Inklusive Theaterfestival »Grenzgänger« wird internationaler und wartet mit brisanten Stoffen auf.

»Sold!« der Unmute Dance Company aus Kapstadt thematisiert den Völkermord an Herero und Nama während der Kolonialzeit | © Oscar O’ryan

Die am weitesten gereiste Arbeit schleppt zugleich das schwerste politische Gepäck: »Sold!« kommt aus Kapstadt und fußt auf einem finsteren Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte: dem Massenmord an Nama und Herero in Deutsch-Südwestafrika 1904. Bis zum heutigen Tag drängen die Nachfahren der Opfer auf Anerkennung der »Gräueltaten« als Genozid, während Deutschland mit Verweis auf seine »Staatsimmunität« offizielle Anhörungen schwänzt. Die Unmute Dance Company hat sich der Schädel der Opfer angenommen, anhand derer einst die rassische Überlegenheit der Europäer bewiesen werden sollte, und belebt vier von ihnen mit weiblichen Stimmen, Gesichtern und einem Hunger auf Selbst- und Geschichtsbefragung. Unmute ist das einzige inklusive Tanztheater Südafrikas und ein finales Highlight des diesjährigen Grenzgänger-Festivals, auf das sich Lorenz Seib sehr freut: »Das war ein Riesen-Kraftakt für uns«, sagt Seib, der das TamS wie auch das von diesem getragene Festival gemeinsam mit Anette Spola leitet. Daran mitgestemmt hat das Goethe-Institut, das die Reisekosten der Südafrikaner übernimmt. Und neben dem Hauptgeldgeber Aktion Mensch tritt auch das Münchner Kulturreferat erstmals als Mitveranstalter auf.

Vom 14. bis 23. März findet das inklusive Theaterfestival statt, das ästhetisch und inhaltlich immer vielfältiger wird. Und internationaler. Mit der Compagnie Création Ephémère ist erstmals eine Gruppe aus Frankreich im TamS zu Gast, die bereits seit 1986 durch Europa tourt: »Il était une fois« ist musikalisches Körpertheater, das unter der Regie von Marie de Neige Flahaut die Ausgestoßenen und Verlassenen unter den Märchenfiguren ins Visier nimmt. Aus Italien gastiert das Teatro Fringe mit »7 Tipi d’Amore« im HochX, worin sieben Schauspieler in sieben Bildern sieben Aspekte eines erfüllten Lebens zeigen. Während der Wiener Choreograf, Performer und Theoretiker Michael Turinsky das Thema Männlichkeit mit Behinderung in einem Solo abhandelt (»Heteronomous Male«), kommt das Reutlinger Theater »Die Tonne« mit großem Ensemble in die Kammerspiele. Und weil die gesamte WG des Protagonisten bei dessen Lovestory »Irre ist menschlich« mitmischen will, führt das zur Ad-hocGründung einer sehr speziellen Band undallerlei Turbulenzen.

»Akademie der Vielfalt« heißt die hinter dem Teatro La Ribalta aus Bozen stehende Genossenschaft, die mit »Personaggi« ein Tanzstück sehr frei nach Pirandello zeigt. Und eine solche war noch nie nötiger als jetzt, wo reale und ideologische Mauerbauer international im Aufwind sind. Ebenso nötig wie die theatralen Plädoyers für das Besondere in jedem Menschen, mit denen sich die Grenzgänger längst einen begeisterten Zuschauerstamm erspielt haben. Sieben sind es diesmal – exklusive einer Ausstellung in der TamS-Garage mit Linolschnitten von Marcel Muß. Und zur sonntäglichen Teatime gibt es einen Film, den Lorenz Seib als »kleine Perle« bezeichnet: »Asimple man« hat der BRüber einen alten TamSBekannten gedreht: Zoltan Sloboda, Gründungsmitglied des Theater Apropos, hat laut Seib durch das Theater und seine an diesem Nachmittag ebenfalls präsentierte Musik »einen unglaublichen Weg gemacht«. Auch von der gehörlosen Tänzerin und mehrfachen Hip-Hop-Meisterin Kassandra Wedel kann man das behaupten, die sich in »Fil – franz: Faden« gemeinsam mit der Münchner Nouveau-Cirque-Streiterin Valérie Marsac auf die Suche nach dem Geheimnis gelingender Kommunikation macht – die ja bekanntlich Menschen jeglichen Behinderungsgrades vor Dauerherausforderungen stellt. ||

GRENZGÄNGER – 9. INKLUSIVES THEATERFESTIVAL
TamS, HochX, Kammer 2| 14.–23. März| Tickets: 089 345890
tams@tamstheater.de | TermineTermine

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