Die Ex-Kammerspieler Benny Claessens und Katja Bürkle stehen in Karen Breece’ Performance über das Weltkrieg-II-Massaker in Oradour auf der Bühne des HochX
Den kleinen Ort Oradour-sur-Glane in der Nähe von Limoges kennt hierzulande kaum jemand, dabei war er Schauplatz des zahlenmäßig größten Kriegsverbrechens, das deutsche Soldaten während des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa verübten. Am 10. Juni 1944, vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, wurde fast die gesamte Einwohnerschaft, 642 Menschen, darunter mehr als die Hälfte Frauen und Kinder, von der 2. SS-Panzer-Division »Das Reich« willkürlich ermordet, das Dorf im Anschluss bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Nur sechs Opfer überlebten, von den Tätern wurden dagegen nach dem Krieg nur wenige zu vergleichsweise kurzen Haftstrafen verurteilt. Heute steht ein neues Dorf gleichsam spiegelverkehrt neben den beinahe unberührten Ruinen des alten, die zu einer viel besuchten Gedenkstätte geworden sind.
Schon vor einigen Jahren stieß die deutsch-amerikanische Regisseurin Karen Breece während einer Frankreichreise auf den Ort, der sie seither nicht mehr loslässt. Auf der Grundlage intensiver Recherchen und eigener Gespräche mit Zeitzeugen und Nachkommen von Opfern und Tätern hat sie einen künstlerisch verdichteten Text verfasst und sich jetzt der Herausforderung gestellt, den Prozess des Erinnerns auf der Bühne sichtbar zu machen. Eine strukturgebende Rolle wird dabei neben fiktionalen Elementen auch das von Olivier Messiaen 1940/41 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager komponierte »Quatuor pour la fin du temps« spielen. Konkret vorstellbar wurde das Projekt aber erst durch die Mitwirkung von Katja Bürke, Benny Claessens und Sebastian Mirow, drei Schauspielern mit denen Breece seit langem befreundet ist und denen sie persönlich zutraut, das Ganze gedanklich auch mitzutragen. »Generell war es mir wichtig«, so Breece, »Schauspieler zu haben, von denen ich weiß, die fordern und hinterfragen auch, denn es geht ja um sie. Es geht um ihre Auseinandersetzung mit dem Material – der Schauspieler als politischer Forscher unserer heutigen Zeit, könnte man sagen.«
Orte, die der Erinnerung gewidmet sind, werden aus dem alltäglichen Leben oft ausgeklammert. Diese Erfahrung haben Breece und Claessens, die sich 2010 zu Beginn der Intendanz von Johan Simons an den Kammerspielen kennenlernten, beide auf unterschiedliche Weise gemacht, Breece dadurch, dass sie in Dachau lebt und sich bereits in verschiedenen Projekten mit dem Umgang mit der NS-Vergangenheit beschäftigt hat, Claessens, indem er von seiner Berliner Wohnung aus vom Balkon in den Garten des Jüdischen Museums blickt: »Dort sind immer ein paar verlorene Rucksacktouristen«, erzählt er, »sonst ist es da ziemlich leer und sieht tatsächlich aus wie ein Mini-Konzentrationslager, nur dass die Zäune, die damals die Häftlinge drinnen halten sollten, heute die Nazis draußen halten. Wie sich die Erinnerung immer doppelt und wie wir nicht aus diesen Bildern herauskommen, das fasziniert Karen und mich auch. Diese Orte sind ja dazu da, damit man dahin gehen, erinnern und dann wieder weggehen kann, als ob das nicht weiter existiert.«
»Natürlich«, sagt Breece, »sind Gedenkorte wie Dachau oder Oradour, so wie sie stattfinden, sinnvoll und berechtigt, aber für mich beinhaltet der ritualisierte Umgang auch die Gefahr des Stillstands. Theater dagegen kann durch künstlerische Übersetzung einerseits Distanz schaffen und andererseits, vermittelt durch die Schauspieler, eine persönliche Auseinandersetzung in Gang setzen.« Wie aber sprechen über ein Ereignis, das die Grenzen des Vorstellbaren überschreitet? Wie sich fremde Erinnerungen zu eigen machen, von denen manche Zeitzeugen selbst nicht mehr sagen können, an was sie sich tatsächlich selbst erinnern und was auf Fotos und Erzählungen basiert? Wie also setzt sich Erinnerung fort, wie schreibt sie sich in Körper ein und wie kann man grundsätzlich aus historischer Distanz eine persönliche Haltung dazu finden – alles Fragen im Rahmen der Produktion, die zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht abschließend beantwortet sind.
Zu Beginn der Proben gab es da für Claessens zuerst einmal »ziemlich viele Unmöglichkeiten. Es war uns wichtig, nicht als eine bestimmte Figur zu sprechen, weil man dann unweigerlich in so ein Hollywoodformat reinkommt. Aber jetzt haben wir eine Lösung, wo wir anfangen können.« Mehr möchten Breece und er noch nicht verraten. Dass es mitunter Zeit braucht, solche Lösungen zu finden, die der Betrieb an den großen Theaterinstitutionen nicht immer zulässt, hat sowohl Benny Claessens als auch Katja Bürkle mittlerweile dazu bewogen, nicht mehr fest in einem Ensemble, sondern frei zu arbeiten. Für Claessens ist die kleine Produktion daher auch »so etwas wie ein Schmetterling – ich treffe Freunde von vor langer Zeit und komme aus diesen großen Strukturen raus, in denen ich als Gast an Stadttheatern nach wie vor arbeite«. Wichtig ist es ihm aber vor allem, in den verschiedensten Konstellationen bei sich zu bleiben, »dass man sich inhaltlich verhält einem Publikum, einem Stoff oder einem Raum gegenüber. Dass man hart denkt«, erklärt er. »Dass man sich nicht verliert in diesem Spiel mit dem Erfolg, dass man tatsächlich hart denkt.« Bei einem Projekt wie »Oradour« muss das wohl die Voraussetzung sein. ||
ORADOUR
HochX| Entenbachstr. 37 | 15., 16., 23., 24. Feb. | 20 Uhr
Tickets: 089 90155102
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