Zum Abschluss präsentiert sich das Spielart-Festival 2017 noch einmal denkbar heterogen: Mit Mamela Nyamzas »Rock to the Core«, Caroline Creutzburgs »Nerve Collection« und den »Mining Stories« von Silke Huysmans und Hannes Dereere

„Rock to the Core“. Copyright: Mamela Nyamza

Heterogener kann es kaum zugehen als an diesem letzten Tag bei Spielart. Am Nachmittag haben sich im Mucca vier schwarze Frauen in High Heels, neonfarbenen Leggins und Glitzerfummeln müffelnde Schafsfelle übergeworfen und blöken, was das Zeug hält. Am frühen Abend steht eine weiße Frau in Jeans und ohne Mimik im Schwere Reiter und analysiert erst das Publikum und dann sich selbst. Es spricht für den Reichtum und ist zugleich eines der Probleme des diesjährigen Festivalprogramms, dass jeder Vergleich rasch zu hinken beginnt. Denn was Mamela Nyamza, Chuma Sopotela, Buhlebezwe Siwani und Zikhona Jacobs auf die Bühne wuchten, kommt aus einer tiefen Verzweiflung über die nicht aufhörende Ausgrenzung von Schwarzen und die Unterdrückung von Frauen in ihrem Heimatland Südafrika. Wie die vier nach der schier endlos scheinenden Stunde – in der sie immer mehr zu Paarhufern mutierten, auf dem Boden herumkrauchend einander mit weißen Backsteinen den Rücken schrubbten und die Statue eines weißen Mannes errichteten – zur Nachdiskussion auf die Bühne kommen, sieht man ihnen an, dass »Rock to the Core« ihnen ans Herz geht und an die Substanz.

Die von Spielart kofinanzierte Performance fußt auf einem Protest bei der Preisverleihung des Fleur du Cap Theatre Award, bei dem traditionell kaum schwarze Künstler nominiert werden: 2017 waren von 72 Nominierten nur 18 schwarz. Doch auch nach den Erläuterungen der Performerinnen und wenn man einräumt, dass in München nur ein vorläufiges Ergebnis zu sehen war, fällt es schwer zu begreifen, wie sich dadurch die Verhältnisse geraderücken lassen könnten: Frau macht »mäh« und sich klein – und die scharfen Messer, die sie in der sehr starken Eingangsszene zwischen gefletschten Zähnen tragen, wenden sie nur gegen sich selbst, um sich Scham und Beine zu rasieren. Mit einem Schrei nach Veränderung bekommt man das schlecht zusammen.

Überhaupt schien aus europäischer Perspektive in mehreren afrikanischen Produktionen das Anliegen größer und drängender zu sein als der Wille, es zu vermitteln. Ob daraus nun das Selbstbewusstsein der Künstler spricht oder die interkulturelle Differenz im Lesen von Zeichen: Jedenfalls war man oft mehr betroffen als begeistert, konnte sich aber als Spielart-Dauergast Stück für Stück seinen eigenen Afrika-Erinnerungpool zusammenbasteln und abschließend an Neo Muyanga denken, der über die Entschlüsselbarkeit seines großartigen musikalischen Vexierspiels »Tsohle« sagte, diese Begegnung sei nur der Anfang. Um einander näherzukommen, müsse man mehr Zeit miteinander verbringen. Da hat er vermutlich recht!

Intellektuelle Ermüdung und Erfrischung
Caroline Creutzburgs Solo kommt dagegen geradezu unheimlich verkopft daher. Und erfüllt für einige Zuschauer aus dem Ausland wohl perfekt das Deutschen-Klischee. Mit ihrer bewusst spröden und selbstreferenziellen Abschlussarbeit am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen gewann die Performerin, Texterin und Ausstatterin in Personalunion 2017 den Preis des Körber Studio Junge Regie. »Nerve Collection« ist eine fragmentarische Selbstverortung mit Hilfe von Liedern, Texten, Erinnerungsstücken und Bewegungsideen, die sich gegen Performanceklischees (»Ich kann keine Ganzkörperbodys mehr auf der Bühne sehen«), Heldenverehrung, schauspielerische Entschlüsselbarkeit und vieles mehr wendet. Das ist intelligent, rätselhaft – aber nichts für müde Sinne am Ende von zwei langen Festivalwochen.

Die werden bei Silke Huysmans und Hannes Dereeres »Mining Stories« wieder wach. Obwohl die junge Frau in der Muffathalle ebenso blass und emotionslos vor ihren mitgebrachten Stell- und Hängetafeln steht. Erstere werden als Projektionsflächen für das gemeine Volk ab und zu umarrangiert, zweitere tragen die Namen von konkreten Menschen, die Experten sind für die Vermeidung von Unglücken, ihre emotionale Verarbeitung, fürʼs Erinnern oder die Tektonik der Ökonomie. Stimmen zu den (vermeidbaren) Ursachen, Folgen und Bewältigungsstrategien des realen Minenunglückes, das am 5. November 2015 die Gegend um Minas Gerais im Süden Brasiliens mit Giftschlamm begrub, erscheinen nur akustisch und als Schrift auf diesen Wänden. Huysmans, die in einem dieser vom Eisenerzabbau abhängigen Dörfer aufgewachsen ist, hat sich die Verzweiflung der Betroffenen und die internationale Expertise angehört und so die PR-Kampagne des verantwortlichen Minenbetreibers Samarco zugleich ironisiert und ernst genommen, dass ein Problem immer aus mehreren Perspektiven zu betrachten sei. Entgeisterte und Analysierende, Wütende und Bedächtige sprechen nun alle für sich.

Huysmans selbst sagt kein Wort, sondern tritt nur die Fußpedale für die immer neue Zusammensetzung der Perspektivierungs-Collage. Bis sich die Stimmen zur Musik und ihre Bewegungen fast zum Tanz verdichten. Das zeigt, wie Erinnerung funktioniert und individuelle und gesellschaftliche Interessen gemeinsam Geschichte formen. Diese Arbeit ist aber auch ein seltenes Beispiel dafür, wie sperrige Inhalte mit fast akademischen Mitteln sinnfällig gemacht werden können, ohne ihre Komplexität einzubüßen.

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