Spielen ist das eine, gehört werden etwas anderes. Ein Festival wie MPhil 360° bietet daher mehr als Musik.

Die Norwegerin Vilde Frang | © Marco Borggreve

Die Norwegerin Vilde Frang | © Marco Borggreve

Der Blick schweift durch den Saal, man sieht graue Schläfen. Das Zielpublikum ist erreicht, die Gemeinde kunstsinniger und verständiger Hörer, die den Musikgenuss zu würdigen weiß, den sie geboten bekommen. Alle anderen jedoch, Menschen, die keine Berührungspunkte mit der Hochkultur haben, vor allem aber der Nachwuchs des klassischen Publikums bleibt indifferent und schwer greifbar. Diese Erkenntnis, dass etwas asymmetrisch mit der kulturellen Bildung läuft, hat seit dem vergangenen Jahrzehnt dazu geführt, dass das Zauberwort »Partizipation« in den Planungsetagen großer Ensembles und klassischer Institutionen Einzug gehalten hat. Im Fokus steht dabei der interessierte, aber nicht zwangsläufig schon initiierte Zuhörer, der auf unterschiedliche Weise am Geschehen auf der Bühne oder sogar beim Erarbeiten einer Produktion beteiligt wird.

Initiativen gibt es inzwischen viele. Die Junge Oper Stuttgart beispielsweise bringt Laien dazu, mit »Singend durch den Spielplan« manche Chorpartie selbst anzustimmen. Das Philharmonische Orchester Hagen führt mit dem Publikum gemeinsam klassische Werke auf, beim Berliner Konzerthausorchester dürfen auch einmal Laien ans Pult. Das Ensemble Resonanz lässt Publikum bei der Erarbeitung von Programmen dabei sein, und auch Festivals gehen neue, pädagogische und partizipative Wege, wie etwa das Klavierfestival Ruhr, das unter dem Titel »Ein Jahr mit Ligeti« zeitgenössische Musik an die Schulen brachte.

Bei den Münchner Philharmonikern wiederum gibt es verschiedene Initiativen, die das starre
Rezeptionsmuster von Künstler und Publikum aufweichen. »Spielfeld Klassik« beispielsweise sucht als
partizipativer Seitenarm des Orchesters den Brückenschlag in viele Felder. Musiker des Ensembles ziehen durch die Stadt, trommeln bei der Abrissparty der Paulaner Brauerei, lassen sich in Stadtteilzentren und bei der Volkshochschule blicken, geigen im Tresor Vinum und spielen im Postpalast. Es gibt Workshops im Ristorante Allegro, Musiksymposien, klingende Entdeckungsreisen wie den Aktionstag »Der Gasteig brummt!« und die verschiedensten Kinder-, Schul-, Uni- und Clubkonzerte.

Der Hörer ist also in Arbeit und wird umfassend gefordert. Aktuelles Beispiel ist das Festival MPhil 360°. Drei Tage im November widmet sich das Orchester intensiv Sergej Prokofjew, gestaltet diesen künstlerischen Schwerpunkt allerdings auf vielfältige Weise aus. »Mein Ziel ist es, dass jeder Münchner die Chance hat, die Münchner Philharmoniker live zu erleben«, meint Orchesterchef Valery Gergiev, und damit dieser ehrgeizige Plan auch umgesetzt werden kann, wird der Gasteig ein Wochenende lang umfassend belegt.

Ein wenig Gala-Gefühl gehört beim Eröffnungskonzert (11. Nov.) dazu, das neben Prokofjews »Symphonie classique« auch Mozarts fünftes Violinkonzert und den dritten Aufzug aus Wagner »Parsifal« auf dem Programm hat. Weit mehr in Richtung Beteiligung gehen jedoch die beiden folgenden Tage. Am Samstag (12. Nov.) werden Dmitry Masleev, George Li, Lukas Geniusˇas und Sergey Redkin sich nach dem Familienkonzert mit »Peter und der Wolf« in einem Klaviermarathon Prokofjews Sonatenwerk widmen. Während am Abend das Kammerorchester der Philharmoniker mit dem Stradivarius Ensemble des Mariinsky Orchesters Mozart und Elgar anstimmt, zeigen im Carl-Orff-Saal Kooperationen mit dem Bayerischen Staatsballett und Joint Adventures / Access to Dance, wie man mit Kindern, Jugendlichen und Profis Prokofjews Musik und Tanz kombiniert.

In der Black Box ist »Spielfeld Klassik« an der Reihe mit zwei »Community Music«-Projekten. Der Sonntag (13. Nov.) schließlich stellt die Geigerinnen Vilde Frang, Alexandra Conunova und den Geiger Yin Chien Tseng vor, die zusammen mit den Philharmonikern in drei aufeinander folgenden Auftritten ihre Interpretationen von Prokofjews Violinkonzerten präsentieren. Viel Musik also innerhalb von drei Tagen, viele Möglichkeiten aber vor allem, die Schwellenängste vor einem Kosmos auf dem Sprung in die Moderne zu verlieren. Denn Projekte wie MPhil 360° öffnen einerseits die Tür in eine Welt der opulenten Klänge, sie sind aber darüber hinaus für Kinder wie auch Eltern eine Möglichkeit, sich einem aktiven, bewussten Hören zu widmen, das dem rezeptiven Starren in kleine elektronische Geräte entgegenwirkt.

Denn ein Orchester wie die Münchner Philharmoniker hat inzwischen nicht nur Konkurrenz durch andere Ensembles oder benachbarte populäre Musikformen, sondern durch Haltungen, die der Aufmerksamkeit, der Konzentration entgegenstehen. Die echten Herausforderungen heißen nicht mehr Prokofjew oder Wagner, sondern Samsung oder Apple. Ein partizipatives Festival wie MPhil 360° bringt daher auch ein Stück akustische Wirklichkeit in den Konsumalltag zurück, vielleicht eines, das mehr fasziniert als die bunte Welt der Apps und der Sound aus der Konserve.||

MPhil306°
Philharmonie, Carl-Orff-Saal, Black Box im
Gasteig| 11.–13. Nov. | ab 11 Uhr
Tickets: 089 548181400 | Website

Das könnte Sie auch interessieren: