Zugänge zum zeitgenössischen Tanz: Was das Dance Festival unter der neuen Leitung von Tobias Staab präsentiert.
Dance Festival München 2025
Gemeinschaft im Zwischenraum

Anne Teresa de Keersmaeker: »Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich« | Foto: Anne Van Aerschot
»DANCE«, das 1987 gegründete biennale »Internationale Festival für zeitgenössischen Tanz der Landeshauptstadt München«, heißt jetzt »International DANCE Festival München« und hat einen neuen künstlerischen Leiter: Tobias Staab. Nach sechs Ausgaben unter einer kontinuierlichen Leitung löst er damit Nina Hümpel ab als jemand, der kulturell noch einmal einen anderen Hintergrund mitbringt. Tobias Staab studierte Theaterwissenschaft, Philosophie und Literatur in München. Arbeitete als Dramaturg und Kurator für Johan Simons’ Ruhrtriennale. Startete aber ebenso die Reihe »Ritournelle« an den Kammerspielen – für »avancierte elektronische Pop-Musik«, so hieß das damals, und brachte als eine der ersten Veranstaltungen Pop auf die selbe ideelle Ebene wie die Hochkultur. Staab gründete dann mit Richard Siegal dessen »Ballet of Difference« und war zuletzt Dramaturg am Schauspielhaus Bochum, wo er neben installativen Formaten und Schauspiel auch wieder ein Konzertformat etablierte. Staab ist also jemand, der Pop genauso gut kennt wie Schiller oder Forsythe. Und er ist jemand, der die unterschiedlichen Kulturen nicht mehr in verschiedene wertende Niveaus einsortiert.
Zeitgenössischer Tanz ist hier also auch Pop. Ist dem intellektuell abstrakten und körperlich sinnlichen Gefühl einer Club-Nacht manchmal näher als einer Sprechtheater-Aufführung, wo sich zunächst die Sprache als reflektierte symbolische Ebene dazwischen schaltet. Anfang März hat Staab das Programm vorgestellt für sein erstes Festival, das dieses Jahr zwischen dem 22. Mai und dem 1. Juni stattfinden wird. Staab betont dabei, er hoffe unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen bei diesem Festival vereinen zu können – und blickt auch hier wieder weg von den großen Bühnen: »Ich glaube vor allem an die Subkulturen der Stadt. Junge Menschen, die sich vielleicht nicht so für zeitgenössischen Tanz, aber für Hip-Hop und Breakdance interessieren«, erklärt er. Ebenso würde er gerne Menschen ansprechen, die zum zeitgenössischen Tanz eigentlich noch überhaupt keinen Bezug haben, die vielleicht eher bei Ausstellungen, in Clubs oder Konzerten zu finden sind. »Ich bin der festen Überzeugung, dass all diese Menschen vom Tanz begeistert werden können, wenn sie nur im richtigen Kontext mit dem richtigen Stück in Kontakt kommen«, sagt er, optimistisch.
Schön ist das, auch weil die politische Lage ja sonst eher nicht zur Zukunftsfreudigkeit einlädt. Und das aktuelle Zeitgeschehen für Staabs Programm durchaus eine Rolle spielt: »Tomorrow is cancelled« tauche als Graffiti in einer der Eröffnungsproduktionen des Festivals auf. Und auch sonst sieht Staab die gegenwärtige eher als eine der »schlechtesten aller Welten«. Sein Mittel auch hier: die Gemeinschaft, die durch gemeinsame Kunsterlebnisse bewirkt werden könne. Eine lang bekannte, aber doch im besten Fall auch wahre Utopie. Besonders, wenn man es eben schafft, die kunstimmanenten Grenzen (wie Hoch-, Sub-, E- und U-) zu überwinden.
Und das macht Staab radikal. Einerseits holt er einen Klassiker der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts nach München: Anne Teresa de Keersmaekers »Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich« von 1982 (27. / 28. Mai, Volkstheater), zum ersten Mal hier zu sehen. Oder zeigt einen Teil von Trajal Harrels jüngerer, aber ebenfalls ikonischer Reihe »Judson Church is Ringing in Harlem (Made-to-Measure) / Twenty Looks or Paris Is Burning at The Judson Church (M2M)« (31. Mai /1. Juni, Lenbachhaus /Kunstbau).
Zwischen Pop, Tik-Tok-Trend und Hochkultur steht die Eröffnungspremiere (22. / 23. Mai, Muffatwerk): Das Kollektiv »La Horde« (mittlerweile Leitung des Ballet National de Marseille) präsentiert eine Collage aus bereits bestehenden Stücken als Deutschlandpremiere: Unter dem Titel »The Master’s Tool« gibt es Videoinstallationen, Performances, Tanz und Musik als zeitgenössische Reflektion des Widerstands im gesamten Muffatwerk. Dass Tanz auf der Plattform Tik-Tok so oft das Mittel der Wahl ist, darf hier als Inspiration betrachtet werden. Dass das Publikum sich bewegt und nicht starr und zuschauend an seinem Platz verharrt, passt in Staabs Konzept: »Menschen, die sich frei durch den Raum bewegen, haben mich immer fasziniert. Und diese Autonomie des Publikums ist immer eine Chance, aber auch eine Verantwortung«, erklärt er. Das erinnere ihn an den Club, an Begegnung mit bildender Kunst oder Popkonzerte: »Und weil meine persönliche Geschichte eher in diesem Koordinatenfeld, also zwischen Tanz, Kunst und Musik, stattgefunden hat, möchte ich gerne auch das Festival in diesem Zwischenraum positionieren.«
Der Zwischenraum als ideeller wie realer Raum. Der Zwischenraum als ein Raum, der Spaltungen in der Gesellschaft gerade deshalb überwindet, weil er dazwischen ist und nicht eine Seite vehement vertritt. In der Theorie ist das ein sehr schöner Gedanke. In der Praxis zeigt sich das im diesjährigen DANCE-Festival aber auch darin, dass man sich als Publikum davon verabschieden muss, immer eine schöne Aufführung präsentiert zu bekommen: So zeigt Richard Siegal eine Filminstallation im Kunstbau des Lenbachhauses (ab 28. Mai), im Zirka kann man auf einer Vogueing Party selbst Paris zum Brennen bringen (31. Mai) und Moritz Ostruschnjak (gefeierter Münchner Choreograf mit Breakdance-Vergangenheit) lässt die Proben zu seinem neuen Stück – quasi in einer Nachspielzeit – in der Pinakothek der Moderne am 28. Juni zur »Jam-Session« werden. Daneben wird es – zum Teil auch in der Aufführungssituation konventionellere – Stücke geben von unter anderem Marcos Morau & La Veronal und François Chaignaud, zwei Teile der »Repertorio«-Trilogie des brasilianischen Duos Davi Pontes & Wallace Ferreira oder Marlene Monteiro Freitas mit der inklusiven Gruppe Dançando com a Diferença. ||
INTERNATIONAL DANCE FESTIVAL MÜNCHEN
Verschiedene Orte | 22. Mai bis 1. Juni | Programm und Tickets
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