Die Actionkomödie »Massive Talent« feiert Nicolas Cage als großen Surrealisten.

Massive Talent

Für eine Hand voll Dollar

massive talent

Nicolas Cage: cool am Pool mit Pedro Pascal …

Mehr meta geht eigentlich nicht: Nicolas Cage spielt Nicolas Cage – in einem Streifen über Nicolas Cage. So geschehen in dem Film von Tom Gormican, der im Englischen den liebevoll ironischen Titel »The Unbearable Weight of Massive Talent« trägt, angelehnt an Milan Kunderas Roman »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«. Alles beginnt mit einer Sinnkrise: Die Bürde seines Talents hat den abgehalfterten Schauspieler Nicolas Cage in ein Loch gestürzt, denn sein notorisch exaltierter Schauspielstil ist in Hollywood kaum mehr gefragt. Der Naturalismus des Method Acting ist immer noch die Standardeinstellung, die alle Schauspieler und Schauspielerinnen abrufen können müssen, zumindest vor der Kamera. Ein peinlich berührter Regisseur winkt nur ab, als Cage ihm auf einem Restaurantparkplatz aus dem Stegreif einen Monolog vorschreit.

In etwa so sahen die vergangenen Jahre des realen Nicolas Cage aus: Die Klatschspalten waren voll von Berichten über Cobras als Haustiere, einem Pilztrip mit seiner Katze, einem ersteigerten Dinosaurierschädel und seiner Immobilien-Shoppingsucht, die auch ein Schloss in Deutschland kurzfristig zu seinem Portfolio hinzufügte, ihn aber vor allem in eine finanzielle Krise beförderte. Cage zog daraus die Konsequenz, so viele Filme wie möglich zu drehen, um seine Schulden abzubezahlen. Der fiktionale Cage befindet sich an genau diesem Tiefpunkt. Seine knallbunte Filmografie lässt vermuten, dass er tatsächlich alles angenommen hat, was ihm angeboten wurde. Nach Arthouse-Klassikern wie »Wild at Heart« (1990), romantischen Komödien wie »Mondsüchtig« (1987) zu Beginn seiner Karriere und Action-Spektakeln in den 1990er Jahren, allen voran »Con Air« (1997) und »Face/Off – Im Körper des Feindes« (1997), ist seine Genrebandbreite seit den 2000er Jahren dementsprechend explodiert. Vor allem psychedelische Horrorfilme und leise Storys über Einsiedler sind in Erinnerung geblieben: Mit der Rache-Eskalation »Mandy« (2018) und der H.P. Lovecraft-Verfilmung »Die Farbe aus dem All« (2019) rief Cage wieder seine Fähigkeit in Erinnerung, vor der Kamera völlig zu eskalieren. In »Joe« (2013) und zuletzt dem Drama »Pig« (2021) dann das genaue Gegenteil: stoisch-kontemplatives Brüten. In »Pig« spielt er einen Einsiedler, der mit allen Mitteln sein entführtes Trüffelschwein befreien will. Dieses mannigfaltige Œuvre hat mittlerweile Kultstatus und ist in all seiner Zusammengewürfeltheit zu einem eigenen Genre geworden: dem Nicolas-Cage-Film. Wo wir wieder bei »Massive Talent« wären: Der Film ist genau das in Reinform, gleichermaßen Hommage und Persiflage einer Künstlerpersona, die sich aus all diesen Rollen zusammensetzt. Wobei er selbst immer wieder betont, dass er von Arbeit spreche, nicht von einer Karriere. Er zitiert damit Professor Quatermass aus der gleichnamigen Science-Fiction-Trilogie, die in den 1950er Jahren in den britischen Hammer Studios produziert wurde. Er habe in den letzten Jahren so viel gespielt, dass er einfach gut in Übung sei, sagte Cage einmal in einem Interview.

massive talent

… oder fassungslos mit Familie (Sharon Horgan, Liliy Mo Sheen) vor dem Fernseher | © Leonine (2)

Diese Bescheidenheit nimmt man ihm nicht ganz ab, ein bisschen zu irre sind die Figuren, die er vor allem in den letzten zehn Jahren gespielt hat, als dass man davon nicht auch ein Fünkchen in ihm selbst vermutete. Vielmehr ist diese Zurückhaltung Programm: Der private Cage ist ein wandelndes Fragezeichen, über das kaum etwas bekannt ist – was ihn zur perfekten Projektionsfläche macht, die er vor allem selbst nutzt, um seine Persona immer wieder experimentell neu zu erfinden. Bei allem Wahnwitz der Rollen liegt in solchen Zitaten womöglich der Schlüssel zu dieser Kunstfigur. Cage ist selbst erwiesener Filmkenner. All seine Figuren zitieren immer wieder aus seinem schier unendlichen Fundus an Vorbildern – Gesten, Bewegungsabläufe, Intonationen. Das kulminiert in »Massive Talent« auf dem Höhepunkt darin, dass der fiktionale Cage im Haus eines Superfans, der ihn für ein Treffen bezahlt, plötzlich vor einer Wachsfigur mit seinem eigenen Antlitz steht. Der Identitätsdieb Castor Troy aus »Face/Off« richtet zwei Pistolen auf ihn und scheint zu fragen: Wer ist Original und wer Fälschung? Cage ist sich selbst nicht mehr ganz sicher – und das ist gut so.

Der übrige Film? Eine mittelmäßige Actionkomödie, deren Verfolgungsjagden und Schießeinlagen angesichts all der Vorbilder, mit denen sie sich messen lassen müssen, kaum der Rede wert sind. Als Hommage an die Kunstfigur Cage und selbstironische Feier eines unangefochtenen Surrealisten im naturalistischen Hollywood ist all das dennoch ein Heidenspaß. ||

MASSIVE TALENT
USA 2022 | Regie: Tom Gormican | Buch: Kevin Etten, Tom Gormican | Mit: Nicolas Cage, Pedro Pascal | 107 Minuten
seit 16. Juni im Kino
Website

Weitere Filmkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

Das könnte Sie auch interessieren: