Weltweit nimmt die Dämonisierung queeren Lebens wieder zu. In München gibt es ein Archiv, das Geschichte erlebbar machen möchte und als Plädoyer für Vielfalt wirkt.

Ende Juni versammelten sich in Budapest rund 200.000 Menschen zur Pride – obwohl die Regierung sie auf Grundlage des sogenannten Kinderschutzgesetzes verboten hatte. Orbán sprach von einer »Schande« – doch die Parade fand trotzdem statt und wurde zur größten Antiregierungsdemonstration seit Jahren. Die staatlich betriebene Dämonisierung queeren Lebens erinnert fatal an Debatten in München in den 1980er-Jahren: Auch damals wurde Homosexualität mit Gefährdung gleichgesetzt – im Kontext von Aids, unter dem Deckmantel des Jugendschutzes. Die queere (damals noch vor allem schwule) Szene kämpfte an zwei Fronten: gegen das unsichtbare, verheerende Virus – und gegen gesellschaftliche Ächtung und Berufsverbote, gerade in kindernahen Berufen. Im Forum Queeres Archiv kann man dies anhand von Nachlässen von Schwulen, Lesben und anderen queeren Menschen nachvollziehen – Zeugnisse persönlichen Muts, alltäglichen Widerstands und trotz Unterdrückung gelebter Vielfalt in der Geschichte Münchens.

Forumstand beim CSD 2020 | © BGamm

Im Hinterhof eines Gebäudes in der Bayerstraße hat das Forum Queeres Archiv seit 2000 in den oberen Stockwerken seine Räume. Albert Knoll, Gründungsmitglied und Vorstand, war von Anfang an dabei: »Die Idee entstand vor etwa 25 Jahren. Mit der Förderung der Stadt konnten wir uns 2000 dann eigene Räume leisten. « Es fehlte damals ein Archiv für homosexuelle Themen. Heute umfasst die stetig wachsende Sammlung Nachlässe, Plakate, Zeitschriften, Briefe, aber auch Buttons und Sticker – oft selbst gebastelt, liebevoll gestaltete eindrucksvolle Zeugnisse der frühen Jahre der Bewegung. Doch Knoll, Historiker und Archivar sowie langjähriger Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Dachau, geht es um mehr als das bloße Bewahren: »Es geht uns nicht nur ums Sammeln, sondern darum, Geschichte erlebbar zu machen.« Das geschieht etwa durch Stadtführungen, Erzählcafés oder die eigene Schriftenreihe »Splitter«. Die Sichtbarkeit des Archivs bleibt begrenzt. »In der queeren Szene sind wir relativ präsent. In München allgemein eher weniger – was auch daran liegt, dass die Szene hier keine allzu große ist.« Kooperationen helfen, neue Menschen zu erreichen. »2022 konnten wir im Haus der Kunst einen ganzen Raum mit unseren Exponaten gestalten – mit Vitrine und vielem mehr.« Zu den Projekten gehören auch größere Ausstellungen – etwa zur Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus oder zur Geschichte von Transpersonen mit Schwerpunkt Amerika und Europa.

Dass man sich »Queeres Archiv« nennt, sei bewusst entschieden: »Das ist auch ein politisches Statement. »Queer« bedeute nicht nur Vielfalt, sondern auch Sensibilität für Ausgrenzung. Politische Spannungen werden heute wieder spürbarer. »Wir müssen leider vorsichtiger agieren und dürfen nicht zu politisch auftreten, da rechte Anwälte sonst versuchen, unsere Gemeinnützigkeit anzugreifen. Wir wollen Haltung zeigen, aber nicht parteipolitisch wirken.« Die Zusammenarbeit mit der Stadt beschreibt Knoll als positiv. »Wir profitieren davon, dass die Rosa Liste seit über 20 Jahren im Stadtrat sitzt – etwa mit dem Mahnmal für im Nationalsozialismus ermordete Homosexuelle am Oberanger.« Ein queeres Museum sei zwar noch Wunschdenken, aber: »In den letzten 15 Jahren hat sich viel getan.« Die Vereinsarbeit geht weit über Organisation hinaus. »Wir sind kein Verein, der sich einmal im Monat trifft und dann die Tür wieder schließt.« Über 100 Mitglieder engagieren sich aktiv, Ehrenamtliche spielen eine zentrale Rolle.

Auch inhaltlich arbeitet das Archiv intersektional – mit Fortbildungen und Projekten. Besonders bewegt hat Knoll das Theaterprojekt eines jungen Mannes aus Russland über die queere Geschichte Münchens. »Er konnte in seiner Heimat nicht offen leben. Hier hat er gesagt: ›Ich will der Stadt etwas zurückgeben.‹ Er hat mir wieder einmal vor Augen geführt, wie prekär die Lage in Russland ist. Er meinte, er könne gar nicht fassen, dass er hier Hand in Hand mit seinem Freund über die Straße gehen könne.« Natürlich gibt es auch Konflikte innerhalb der Szene – Diskussionen um Begriffe, Repräsentation, Sichtbarkeit. »Manche ältere Lesben sagen: ›Ich habe Jahrzehnte für Lesbenrechte gekämpft – und jetzt soll ich mich unter dem Begriff ›queer‹ einordnen?‹« Der Begriff wird nicht von allen akzeptiert – für manche ist er eine Umarmung der Szene, für andere Identitätsverlust.

Auch heikle Kapitel werden nicht ausgeblendet. In den 1980er-Jahren habe es innerhalb der Schwulenbewegung pädosexuelle Forderungen gegeben, sagt Knoll: »Die wurden intern sehr klar verhandelt. Wir grenzen uns davon deutlich ab und bewerten Geschichte kritisch.« Wichtig sei vor allem, Geschichte zu erinnern und aus ihr zu lernen. Doch »unsere Geschichte wird nicht selbstverständlich erinnert. « Es habe keine staatliche Aufarbeitung gegeben. »Alles, was wir haben, haben wir selbst gesammelt – oft mit großem Einsatz von Ehrenamtlichen. « Das Archiv steht der Öffentlichkeit offen – für Recherchen, Gespräche, Besuche. Wer sich für queere Geschichte interessiert oder einfach neugierig ist, kann sich jederzeit informieren. Es ist ein Ort, der Lücken füllt und zur Diskussion einlädt. ||

Weitere Infos unter https://forummuenchen.org

 


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