Ein Schriftsteller schreibt einen Schlüsselroman über MeToo in der Medienbranche. Da wurden Stimmen laut, ob ein Mann das darf. Nun inszeniert die Regisseurin Lea Ralfs den Roman »Noch wach?« von Benjamin Stuckrad-Barre am Zentraltheater.

Noch wach?

Ein schmaler Grat

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Lea Ralfs © Elena Zauke

Kaum ein Roman sorgte in den vergangenen Jahren für so viel Aufsehen wie Benjamin von Stuckrad-Barres »Noch wach?«. Der Autor beschäftigt sich darin mit sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch in einem großen deutschen Fernsehsender. Und irgendwie auch mit sich selbst. Denn der Ich-Erzähler ist befreundet mit dem Senderchef, der Ähnlichkeit mit Axel-Springer-Chef Mathias Döpfer aufweist, einem ehemals guten Freund von Stuckrad-Barre. Anne Fritsch sprach mit Lea Ralfs über den Roman und ihre Inszenierung am Zentraltheater.

MF: Wann haben Sie den Roman zum ersten Mal gelesen? Und warum?
Lea Ralfs: Ich bin eigentlich mit dem Roman »Panikherz« tiefer eingetaucht in die Bücher von Benjamin von Stuckrad-Barre. Das mochte ich total gerne, diese Mischung aus persönlich-autobiografischen und fiktionalen Elementen. Das hat mir gut gefallen. Als dann 2023 »Noch wach?« rausgekommen ist, war ich eigentlich relativ spät dran, late to the party, wie man so schön sagt.

Und es war eine große Party und Debatte darüber, dass ein Mann einen Roman über #MeToo schreibt.
Ich hatte das Gefühl, alle sprechen schon darüber und versuchen rauszufinden, ob es gut oder schlecht ist; ob er das Recht hat, als Mann darüber zu schreiben und ob er sich persönlich reinwäscht und so weiter. Diese Diskussion, die war schon total am Laufen. Und irgendwann habe ich gedacht, okay, ich will das aber doch lesen. Und dann war das wieder so wie bei »Panikherz«: Ich fand es schön, in diese Welt zu kommen, die so persönlich ist und in der jemand versucht, sich in Gedankenströmen einem Thema anzunähern. Das ist irgendwie total wild, und das hat mich interessiert. Natürlich haben all die Fragen ihre Berechtigung, warum er, der mit Springer-Chef Mathias Döpfner befreundet war, dieses Buch schreibt; warum er es als Mann schreibt und so weiter. Trotzdem hat mir das Buch sehr gut gefallen.

Aber da war noch nicht der Gedanke da, es auf der Bühne umzusetzen?
Nein, der kam erst viel später. Ich wohne jetzt in Hamburg, dort hat Christopher Rüping das Buch am Thalia Theater inszeniert. Ab da stand das als Möglichkeit im Raum. Und irgendwann wurde es eben konkret.

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Das Ensemble von »Noch wach« © Nadine Vidakov

Der Roman nimmt zwar die Perspektive des Erzählers ein, der so etwas wie ein Alter Ego des Autors ist, spielt aber an vielen Schauplätzen und hat ein großes Personal. Wie übersetzen Sie das in den kleinen Theaterraum?
Ich gehe eher auf das Diskursive, all diese Stimmen, die sich an einem Thema abarbeiten, eben dem Machtmissbrauch. Natürlich gibt es Szenen und Schauplätze, die auch theatral Spaß machen wie das Autorennen am Anfang, das all die Mitarbeiter für einen Imagefilm veranstalten. Ich muss hier nicht gendern, denn das sind alles Männer. Es gibt also auch auf der Bühne durchaus Schauplätze, für die wir Bilder suchen. Aber die meiste Zeit gehen wir mehr in die thematische Verhandlung. Wir haben einen Schauspieler und vier Schauspielerinnen – und die begeben sich eben auf diese gedankliche Reise: Was ist eigentlich sexueller Missbrauch oder was ist eigentlich Machtmissbrauch?

Gibt es auf der Bühne Figuren oder nur Textflächen?
Es gibt Figuren, aber die spalten sich immer wieder auf. Alle verkörpern mal den Erzähler, mal dessen Freund und so weiter. Die Figuren sind nicht fest verortbar, wechseln durch. Die erzählen das als Gruppe. Ich hoffe, dass so verständlich wird, wie strukturelle Macht funktioniert, was dieser Boys Club eigentlich ist und was diese toxische Männlichkeit befördert. Der Erzähler ist quasi der Stellvertreter, der das alles verstehen muss.

Geht Benjamin von Stuckrad-Barre der Sache wirklich auf den Grund? Gelingt es ihm, seine männlich-privilegierte Perspektive zu überwinden?
Nein, ich glaube, er überwindet sie nicht. Der Roman ist eher der Versuch einer Solidarität und des Allyship. Inklusive Straucheln. Am Ende hat man das Gefühl, dass alle scheitern. Ich denke noch darüber nach, ob es vielleicht eine Form von Hoffnung oder eine Idee geben könnte, die man den Zuschauern mitgeben kann. Anders als bei Stuckrad-Barre. Bei ihm ist der Versuch gescheitert, aber das ist in Ordnung. Nicht alle Versuche müssen klappen. Aber ich glaube trotzdem, dass man beim Lesen und hoffentlich auch beim Zuschauen versteht, was die Probleme und Fallstricke sind. Ich finde, das hat er schon gut rausgearbeitet.

Was ich ein wenig als unangenehm empfunden habe, war dieses Gefühl, der Autor will mir die Welt erklären.
Ja, er hat bestimmt das Gefühl, dass er die Welt verstanden hat und natürlich biedert er sich an etwas an, das er eine ganze Weile nicht beachtet hat, nämlich mit welchen Leuten er sich da abgibt. Und natürlich schwingt auch mit: »Ich bin ja eigentlich ein Guter.« Nichtsdestotrotz finde ich es nicht uninteressant, dass er sich dem so ausliefert.

Er findet sich schon ziemlich cool, dass er sich als Mann dieses Themas annimmt.
Total. Wenn man sich mit dem Diskurs beschäftigt, denkt man eh, Männer, lasst die Finger von diesen Themen. Trotzdem mag ich viele Aspekte des Romans echt gerne. Ich mag, wie der Erzähler sich von seinem Freund distanziert und wie Stuckrad-Barre dieses Nicht-hingucken-Wollen und Missstände-nicht-sehen-Wollen erlebbar macht. Losgelöst von diesem Thema kenne ich das auch von mir selber, auch deswegen finde ich diese Geschichte total erzählenswert.

Was wäre ein Gedanke oder ein Gefühl, mit dem Sie das Publikum gerne entlassen würden?
Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Menschen mit dem Thema beschäftigen und mit diesem Verständnis des Machtmissbrauchs. Manche Menschen haben das total durchdrungen, aber viele verstehen das nicht. Und es ist auch wirklich schwer zu verstehen, weil es ein wirklich schmaler Grat ist, auf dem das passiert. Wo ist die professionelle Grenze? Was ist noch in Ordnung? Und was nicht? Wenn das Publikum da andere Bilder als die reine Theorie im Kopf hat, fände ich das total schön. Wenn wir das geschafft haben und von diesen Textmassen auch etwas Sinnliches bleibt, dann bin ich stolz auf uns. ||

NOCH WACH?
Zentraltheater | Paul-Heyse-Str. 28 | 3.–5. Juni, 1., 2. Juli | 20 Uhr | Tickets: 089 30659486

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