Emre Akals sehr besondere »Katzelmacher«- Bearbeitung interessiert sich für Ausgrenzung als universelles Prinzip.

Katzelmacher

Bosheit aus dem Sahnespender

katzelmacher

Emre Akal nimmt den Titel »wörtlich« und verkleidet das Ensemble als Miezekatzen © Gabriela Neeb

Einer ist immer der Andere. In jeder der Welten, vor der sich in Emre Akals neuer Inszenierung an den Münchner Kammerspielen das Portal öffnet. Mit lautem Schaben und Knarren, sodass man nie so recht weiß, ob es aus Stahl ist oder nur eine der Illusionen, die das Künstlerduo Mehmet & Kazim per Video oder Voodoo auf die Bühne gezaubert hat. Die zwischen der Handwerklichkeit von Salzteig und der Künstlichkeit pixeliger Retro-Computerspielwelten oszillierende Ästhetik der beiden ist spektakulär und gehört zum Markenkern aller Akal-Inszenierungen, die zuletzt zwischen Hamburg und Graz entstanden sind. Sie steht aber auch im maximalen Kontrast zum kargen Realismus in Rainer Werner Fassbinder »Katzelmacher«-Film von 1968. Dort saß die zu kurz gekommene Vorstadtjugend, die den Gastarbeiter Jorgos mit einer Mischung aus Argwohn und Neid beäugt, gefühlt die ganze Zeit auf einer Mauer. Hier wartet gleich die erste Szene mit einer opulenten Szenerie auf: Riesige plüschige Katzen füllen ein Esszimmer wie aus dem Sahnespender fast komplett aus. Es wird gar lieb getatzelt und geschnurrt und dann der einzige graue Kater anvisiert: »Und was ist das für einer?« »Schaut ihn an wie dass der schaut.« Und nur wenige schonungslose Fassbinder-Sätze später regiert die blanke Mordlust.

Den Text hat das Team im Wesentlichen nur gekürzt. Sogar der emotionslose Ton, in dem Stefan Merki, Nadège Meta Kanku, Annika Neugart, Annette Paulmann, Leoni Schulz und Anja Signitzer die schroff en Sätze sprechen, bleibt nah am Film und holt die fantastische Szenerie gewissermaßen auf den Boden. Neu ist, dass Jorgos nicht spricht und namenlos bleibt. Er ist der Streuner zwischen den Hausmiezen, der Fremdkörper in einem bürgerlichen 60er-Jahre-Wohnzimmer, der Kellner am Tisch der Addams-Family oder eines Vampirgelages. Und draußen vor dem Fenster findet etwas statt, dass die illustre Gesellschaft in Panik versetzt. Die Klimakatastrophe oder ein Krieg – das bleibt im Vagen. Klar ist nur, dass die Angst sich ein Ventil sucht und wer abkriegt, was daraus entweicht: Es ist immer der Fremde, und den braucht jede Gruppe offenbar sehr nötig, um sich als Gruppe zu fühlen. Seien es die Spielzeuge in einem Kinderzimmer oder die Figuren in einem Computerspiel. Zehn sehr verschiedene, überraschende Welten öffnen sich an dem nur 90-minütigen Abend. Ein Hinweis darauf, dass das Prinzip des Otherings nicht an eine bestimmte Gesellschaftsschicht gebunden ist, sondern auch in den vermeintlich »besten Familien« vorkommt und so universell ist, dass es auch unsere Fantasien und Vergnügungsindustrien infiltriert hat. Einmal schwimmt sogar ein Avatar von Edmund Telgenkämper, der dem universellen Fremden Körper und Gesicht leiht, in einem VR-Aquarium, während alienartige pinke Geschöpfe ihn durch die virtuelle Scheibe beobachten.

Ästhetisch ist das hinreißend, und das Ensemble hält sehr gut und geschlossen mit. Inhaltlich nimmt Akal von Fassbinder den Sexual- und Sozialneid, die Angst vor »fremden Sitten« und das kapitalistische Interesse am »Gastarbeiter«, der sich umso besser ausbeuten lässt, je unsicherer sein Aufenthaltsstatus ist. Und im Victim Blaming nach den teils in christliche Symbolik gekleideten Gewaltausbrüchen gegen ihn (»Von nichts kommt nichts«) schwappt auch der heutige Umgang mit Opfern rechter Gewalt in den Abend. Am Schluss entscheidet sich die Regie allerdings gegen Fassbinder, bei dem sich Jorgos so sehr assimiliert, dass er schließlich selbst gegen Fremde wettert. Ein brandaktuelles Problem, denkt man nur an die vielen AfD-Mitglieder mit Migrationshintergrund. Aber Stoff für ein anderes Stück und nicht für einen Theaterabend, der gerade auch durch seine konsequenten Beschränkungen überzeugt. Da macht sogar Emre Akal als Autor mit, dessen »Epilog« nur aus zwei Worten besteht. Den ersten und einzigen, die der »Katzelmacher« hier sagt. »Liebe Vernunft« schreit er wieder und wieder gegen den aufbrandenden Lärm an – und findet bei der Gegenwart, die ja auch im Zuschauerraum sitzt, kein Gehör. ||

KATZELMACHER
Kammerspiele | 8., 13. Mai, 8. Juni | 20 Uhr | Tickets 089 23396600

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