München hat seine »Isphie«. Beim Konzerthaus im Werksviertel aber wird es eng. Man könnte mit Weitblick auch ganz anders denken.
Konzerthaus München
Bayerisches UFO
Braucht München ein neues Konzerthaus? Nein. Damit jedoch wäre die Frage noch nicht beantwortet, mit der die »Süddeutsche Zeitung« zu einer Podiumsdiskussion einlud. Stattdessen grüßte wieder mal das Murmeltier: Alles, was im Herbst 2017 nach dem Entscheid für den Konzerthaus-Entwurf bejubelt und kritisiert wurde, ist heute offenbar nur noch Schall und Rauch und muss anscheinend wieder von vorn diskutiert werden.
Nach zwei großen Krisen (Corona, Ukraine) und einem gerade eröffneten städtischen Konzertsaal (Isarphilharmonie HP8) stellt Bayerns neuer Kunstminister Markus Blume die Frage, ob ein weiterer staatlicher Konzertsaal jetzt wirklich noch notwendig sei und betont: »Ich darf es mir nicht einfach machen. Wir haben schwierigste Abwägungsprozesse zu bewältigen.« Allein diese Beteuerung irritiert schon, schließlich ist das der Kern seiner Aufgaben. »Wir müssen den Schuldenberg abbauen«, ist dabei das aktuelle politische Mantra. Kammersänger Christian Gerhaher, von Blume in der Diskussion als »gestrig« tituliert, rechnet vor: Für den Konzertsaal im Werksviertel fielen bisher ca. 60 Millionen Euro an Planungskosten an, seit 2017 zahlt der Kunstminister jährlich 700.000 Euro Pacht für das Grundstück. Dazu kommen neue Kosten für aktuelle Bestandsaufnahmen, und jeder Tag, an dem nicht gebaut wird, macht das Projekt noch teurer. Nicht nur Gerhaher macht Söders »Denkpausending« also stutzig, das Blume mit der gerade über die Welt hereingebrochenen »Zeitenwende« begründet. Ob Zeitenwende und Das-Fähnchen-in-den-Wind-Hängen dasselbe sind? Einen Zusammenhang zwischen der Verschleppung der Konzerthausrealisierung und dem Wahlkampf zur Landtagswahl 2023 weist Blume pampig zurück. Was durchklingt: Das Konzerthaus wird so wie geplant nicht kommen.
Die Diskussion ist bereits jetzt ein Wahlkampfthema. Und die Denkpause kostet viel Geld, was aber offenbar keine Rolle spielt. Aber die Idee, einen Schuldenberg auf Kosten der Kunst abzubauen, ist genauso einfältig und willkürlich gedacht, wie bei der Bildung zu sparen. Kunst ist in ihrem tiefsten Wesen Verschwendung, aber sie ist die einzige Verschwendung, die Gesellschaften voranbringt und neue Energien freisetzt, Identitätsflächen stiftet und der zunehmenden Barbarei entschieden entgegentritt. In der Kunst geht es nicht um Verwertung, das bleibt der sogenannten Kreativwirtschaft überlassen. Es sollte durchaus an vielen Stellen im freistaatlichen Haushalt gespart werden – aber sicher nicht an der Kunst und an allem, was sie braucht. Und das sind vor allem Räume. In einer Stadt wie München, in der so gut wie alle Nischen, Winkel und Orte für Freigeister der Institutionalisierung und dem Brandschutz geopfert werden, geht es nicht vorrangig um einen Konzertsaal. Was heute, morgen und übermorgen dringend gebraucht wird und eine ehrenvolle Pflicht für das bayerische Kunstministerium sein sollte, ist ein »Musikhaus« für diverse Genres und Arbeitsbereiche – sofern die Künstler in dieser Stadt überhaupt noch etwas gelten. Nichts wäre einfacher, als ausgehend von bereits vorhandenen Konzepten ein originäres, kostengünstiges Gebäude zu errichten, das von den Nutzern der Zukunft mitgeplant wird: ein riesiges interdisziplinäres Studentenprojekt, geleitet von Fachleuten wie Florian Nagler oder Anna Heringer.
München braucht keine weitere »Schokoladenimmobilie« (Andreas Beck, ResidenztheaterIntendant), sondern ein Musikhaus, das den rauen Charme des Werksviertels aufnimmt und fortsetzt. Ein Centre Pompidou der Musik, gleich neben dem Münchner Franzosenviertel. Wenn schon Zeitenwende, dann richtig. Aber dafür bräuchte es den politischen Willen. Und eine große Portion visionärer Kraft. Markus Söder ist nicht FJS. Und mit einem Söder hätte es einst auch kein Olympiagelände gegeben. ||
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