Die GOP-Show »Sailors« entführt für eine Nacht in eine (Hamburger) Hafenbar.

Sailors

Milieu, Poesie und Persönlichkeit

sailors

Stimmung in der Seemannskneipe | © Heike Kraemer/GOP

Nichts wie her mit allem, was die Atmo auf (Hamburger) Hafenbar polt: dunkles Holz, tätowierte Arme, unrasiert-rauer Seebärencharme und ein kerniges »Moinmoin«. An der Bar ertönen zum Schifferklavier alle Sprachen der Welt. Und inden Roaring Twenties, in denen die neue GOP-Show angesiedelt ist, sind auch die Geschlechterpolaritäten noch intakt. Die Frauen sind Mädchen – und zwar leichte –, die Männer stark und dem Alkohol zugeneigt. Bis das alles behauptet und etwas angestrengt etabliert ist, kommen die Nummern langsam in Schwung. Gruppenszenen, in denen eine der käuflichen Damen über die Köpfe und Körper der anderen balanciert und gehoben wird, ein Paar auf den breiten Schultern eines Untermannes tanzt und eine mit spitzen Schreien durchsetzte Fußjonglage-Szene im Lotterbett spielt, bleiben auf halber Höhe zwischen Milieumalerei und Akrobatik hängen. Und so dauert es ein wenig, bis der Abend abhebt.

Dass man den Artistinnen in den blütenweißen Lolita-Pumphöschen ihre Liederlichkeit ebenso wenig abnimmt wie dem Etablissement die Spelunke und dem Seemann spitznamens »Fisch« seinen Gestank: Geschenkt! Der Artistennachwuchs aus den besten kanadischen und australischen Zirkusschulen lässt einen diese Klischees bald sowieso vergessen. Gabriel Drouin und Francis Gadbois, die mit »Sailors« ihren Einstand als Regieduo geben, sind auch darüber hinaus wahre Überraschungspakete. Der Wahlmünchner Drouin gibt den Seebären par excellence und ist auch körperlich kein leichtes Kaliber: Umso herrlicher ist das Spottlied, das er und sein Cyr-Reifen der Schwerkraft singen. Gadbois frönt als Mann hinterm Tresen seiner Liebe zur Literatur, lässt aber auch als Bücher getarnte Zigarrenboxen fliegen und eine sehr kurze Kunstradnummer zu einem kleinen Highlight werden. Denn wie so oft im GOP lebt der Abend von seinen Persönlichkeiten. Wie Joel Malkoff bei seinem Tanz auf dem Seil fast nebenbei die Tücken des Balancehaltens selbst zum Thema macht,

lässt einem vor Spannung den Atem stocken. Und die charismatische Alexanne Plouffe, deren Traum es ist, sieben Sprachen zu lernen, möchte man auf der Stelle zum Bier treffen.Auch wenn die Tatsache, dass sie ihren Unterkörper scheinbar nach Belieben von der Pole-Stange entfernen kann, ungleich einschüchternder ist als das ihr anhängende Narrativ der »Schwarzen Witwe«, deren Geliebte allesamt auf See geblieben sind. Die maritime Chinese-Pole-Nummer, für die nach der Pause die Hafenkneipe hinter Schlechtwetterprojektionen verschwindet, nimmt mit ihrem Schwenk vom Milieu zur Poesie ein, aber auch mit ihrer vier Artisten kongenial verbindenden Choreografie. Mit einer tollen musikalischen Mischung von Tom Waits über Harry Belafonte bis zu Noir Désir geht es über die »Rocky Road to Dublin« auf ein die ganze Rauf- und Tanzlust der zehnköpfigen Crew entfesselndes Finale zu. Bei dem man dann auch manch flacheren Witz (ein Anglerverein namens Hells Angels!) des singend, erzählend und Ahoj-Brause verteilenden Bremer Entertainers Nagelritz fast vergessen hat. ||

SAILORS
GOP Varieté-Theater | Maximilianstr. 47 | bis 3. Juli
Mi bis Fr, 20 Uhr, Sa 17.30 und 21 Uhr (nicht 25. Juni), So 14 und 18 Uhr | Tickets: 089 210288444

Weitere Theaterkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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