Das Beuys-Jubiläum wird auch in München mit Ausstellungen in der Pinakothek der Moderne, dem Lenbauchaus und der Galerie Klüser zelebriert.
Joseph Beuys-Ausstellungen in München
»Der teuerste Sperrmüll aller Zeiten«
Die große Museumsretrospektive zum 100. Geburtstag (und 35. Todestag) von Joseph Beuys (1921–1986) fällt aus. Jedenfalls in München. Dennoch kann man sich auch hier darüber vergewissern, was dieser wohl wichtigste deutsche Kunst-Revolutionär der Nachkriegszeit für dieselbe bedeutet. Und was er trotz seiner niederrheinischen Verwurzelung auch in München bewegte. Vielleicht auch: Was heute davon noch geblieben ist. Denn um Beuys ist es ja trotz aller Berühmtheit in den letzten Jahren eher still geworden. Museen haben ihn sozusagen mit seinen ästhetischen zeichnerischen, skulpturalen Werken und Installationen vereinnahmt. Und der provokative, widerständige und politisch-sozial agierende Beuys – so scheint es mitunter – ist dabei etwas unter die Räder gekommen. Fett, Filz, Blechdosen oder Holzobjekte sowie Zeichnungen, Litho- und Fotografien lassen sich halt leichter ausstellen als seine politischen Ideen. Auch von denen gibt es ja beim Gründungsmitglied der Grünen Beuys nun keinen Mangel.
In München hatte er mit Bernd Klüser (damals: Galerie Schellmann & Klüser) seit 1971 einen seiner wichtigen Galeristen; Schellmann und Klüser präsentierten 1976 im Kunstforum in der Unterführung Maximilianstraße die Installation »Zeige Deine Wunde« – damals relativ unbeachtet von den Paassanten. Der Ankauf 1979 durch das Städtische Lenbachhaus – für 270.000 DM – brachte durch den Protest der Gegner einen großen Skandal und machte das Lenbachhaus zu einem bedeutenden Museum für Gegenwartskunst. Münchner Museumsgeschichte schrieb auch der Freundesverein der Pinakothek der Moderne PIN: PIN trieb 1984 das Geld auf für den Ankauf der 1983 im Haus der Kunst gezeigten, raumgreifenden, assoziativen und ästhetisch packenden Installation »Das Ende des 20. Jahrhunderts« für die Staatsgemäldesammlungen.
Das und noch viel mehr ist jetzt in den beiden Museen, in der Doppel-Galerie Klüser 1 und 2 sowie an sieben ausgesuchten Orten in der Stadt zu sehen. Denn die Pinakothek, die auch ihre Beuys-Räume um bislang unbekannte Fotografien erweiterte, will dem Phänomen Beuys nahekommen, der ja seine erste Berühmtheit in den 60er Jahren als Fluxus- und Performance-Künstler erlangte. Einer der vielen Höhepunkte: Am 20. 6. 1964 schlug ihm ein aggressiver Student die Nase blutig. Beuys ignorierte Blut und Faustschlag, ergriff ein Kruzifix, hielt es dem angeblich empörten Publikum entgegen. Und der Künstler Heinrich Riebesehl fotografierte alles. So etwas lässt sich natürlich nur schwer ins Museum transportieren. Also ließen sich die Kuratoren zu einer kuriosen Aktion inspirieren: Unter dem Titel »Ich strahle aus« – das sagte der »Schamane« Beuys über sich genauso wie »Ich bin ein Sender« – gehen zehn Multiples bis 10. Oktober sozusagen aus der Pinakothek der Moderne außer Haus. Sie sind jetzt im CAS (Center for Advanced Studies), im Haus der Kulturen und Religionen, im Weiße Rose Saal im Justizpalast, in der Munich Re oder etwa der Stiftung Kick ins Leben zu sehen. Dort sollen sie »ihre Wirkkraft im Heute« unter Beweis stellen und in zufälligen Begegnungen von Herrn oder Frau Jedermann – und nicht nur von einem kunstaffinen Publikum – entdeckt werden. Mal sehen, ob die Energie der »Capri-Batterie« (1985), die im Garchinger Technologie- und Gründerzentrum GATE (Lichtenbergstr. 8) zu sehen ist, genug Strahlung entwickelt, um dort die nötigen Ideen zur Rettung der Menschheit zu befeuern.
Beuys selber hatte 1970 das Schaffen und Verteilen von Auflagenobjekten mit dem Setzen von Antennen verglichen, die die Trennung von Kunst und Alltag aufheben sollten. Solche esoterischen Aspekte waren in diesen technikgläubigen Zeiten kurz nach der Mondlandung freilich eine fast genauso große Provokation wie die von vielen Normalmenschen geradezu als eklig empfundenen natürlichen Materialien – wozu ja unter anderem auch Hasenblut, getrockneter Schellfisch oder skelettierte Vogelköpfe zählten. Dazu muss man auch wissen, dass Beuys ein absoluter Künstlerstar war, ein begnadeter Selbstvermarkter, einer der meistfotografierten Künstler der 60er bis 80er Jahre. Mit seinen Markenzeichen Filzhut, Anglerweste, Stiefeln und dem physiognomisch einprägsamen Zahnapparat sorgte er für einen einzigartigen Wiedererkennungswert. Die auf Fotografien basierenden Druckgrafiken in der Pinakothek konterkarieren dieses Bild: Beuys in Badehose, mit Glatze, ohne Hut – am Strand in Kenia. Dazu: Festgehaltene flüchtige »Sandzeichnungen«, Motive, die der Ausnahmekünstler in den kenianischen Strand gezeichnet hatte. Dorthin war er 1974 in Begleitung von Charles Wilp, der die Fotos machte, gereist. Wilp, ein niederrheinischer Kreativ-Künstler, Raumfahrt-Fan, Erfinder der skandalträchtigen, aber ausgesprochen erfolgreichen Afri-Cola Werbung, und Besitzer eines Futuro-Rundlings (wie er gerade auf der Pinakothekenwiese steht) liebte den Skandal genauso wie Beuys. Erkenntnis: Wenn zwei so skandalerprobte Visionäre auf Reisen gehen, kann’s auch ganz beschaulich zugehen.
Einen dieser Skandale aufgearbeitet hat nun das Lenbachhaus, das daneben auch seine ständigen Beuysräume mit den großen Installationen und skulpturalen Werken der Sammlung Schirmer zeigt, mit einem Buch über die Installation »Zeige Deine Wunde«. Zum geflügelten Wort wurde der Ausdruck »Der teuerste Sperrmüll aller Zeiten«. Die Verachtung der konservativen Sittenwächter, speziell Peter Gauweiler und diverse CSU-Kollegen, für diese Kunst würde man heute wahrscheinlich psychologisch deuten. Einige sahen in diesem »Müll« das Markenzeichen fortschreitenden Kulturverfalls. Klingt ziemlich populistisch und wenig weitsichtig. Wenn man den heutigen Marktwert dieser Kunst betrachtet, müsst eigentlich jeder Konservative von einer nachgerade genialen Investition sprechen. Beuys meinte in einem seiner seltenen Statements zu seinem Werk, dass eine Wunde, die man zeigt, auch geheilt werden könne. Und nicht nur Kunstexegeten fällt auf, dass solche Ansprache und die bereitstehenden Totenbahren – nicht nur in den Zeiten der Cholera – auch als Sinnbild für eine nicht nur medizinisch diagnostizierte kranke Gesellschaft fungieren können. Mithin solch ein Werk eben eine Ausdruckskraft jenseits des rein Dinglichen – also Totenbahren, Schepser, Mistgabeln (Forken), Einmachgläser, Schiefertafeln, Fett, Metallkästen, medizinisches Gerät – besitzt.
Recht nahe an den Künstler heran kommen die Ausstellungen bei Klüser, der übrigens zahlreiche Werke an die Münchner Museen vermittelte. Zwar kann auch Klüser nicht zeigen, wie Beuys etwa den Spruch »Jeder Mensch ist ein Künstler« interpretierte und selbst lebte. Aber mit der geschickten Auswahl der etwa 100 Objekte, Multiples, Zeichnungen und Druckgrafiken aus allen Schaffensphasen wird jedenfalls auch so etwas wie die politische und soziale Dimension dieses Werks in Ansätzen erlebbar. So sieht man etwa übermalte Geldscheine. »Kunst = Kapital« steht auf einem 10.000 Lire-Schein. »Falschgeld« auf einem DDR-Fünfziger. Sehr provokant ein Blanko-Scheck der Deutschen Bank Düsseldorf: Kein Empfänger, keine Summe, kein Datum – nur die Unterschrift von Joseph Beuys. Wie frech ist das denn? Ähnlich deutlich die 1971 in einer 10.000er-Auflage hergestellte Polyethylentüte mit dem Titel »So kann die Parteiendiktatur überwunden werden«. Ein Schaubild soll verdeutlichen wie Direkte Demokratie entstehen und der Mensch wieder in den Mittelpunkt der Politik gerückt werden kann.
Beuys selber ging es immer darum. Als Professor an der Düsseldorfer Akademie (seit 1961) ließ er sich lieber feuern als seine Prinzipien zu verraten: Jeder, der sich (von ihm) zum Künstler schulen lassen wollte, sollte dies können – ohne Mappenverfahren, ohne Numerus Clausus, ohne Einschränkungen. Er nahm gegen alle Vorschriften statt 30 mehrere hundert Studenten in seiner Klasse auf, besetzte nach Widerstand des Wissenschaftsministeriums mit einigen davon das Sekretariat der Akademie. Die Situation eskalierte. Johannes Rau, damals zuständiger Minister, entließ Beuys im Oktober 1972 fristlos. Worauf ein Aufschrei in der Kulturszene, in der Öffentlichkeit, Hungerstreiks, Vorlesungsboykott folgten – und ein jahrelanger Rechtsstreit. Beuys’ Schaffen bremste das nicht im geringsten. Mitunter fragt man sich, wie dieser Unermüdliche das alles eigentlich hinbekam. ||
ICH STRAHLE AUS. 100 JAHRE JOSEPH BEUYS
Verschiedene Orte | diverse Ausstellungszeiten und Veranstaltungen siehe Booklet | Stadtplan
Pinakothek der Moderne | Barer Str. 40 | Beuys-Räume (17–20) der Sammlung Moderne Kunst | | Di–So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr |
JOSEPH BEUYS. WER NICHT DENKEN WILL FLIEGT RAUS
Galerie Klüser 1 + 2 | Georgenstr. 15 und Türkenstr. 23
bis 4. September
JOSEPH BEUYS – 100 JAHRE. ZEIGE DEINE WUNDE. PLASTIKEN UND ENVIRONMENTS AUS DER SAMMLUNG LOTHAR SCHIRMER UND DEM LENBACHHAUS
Städtische Galerie im Lenbachhaus | Luisenstraße 33
Dauerausstellung | Di–So/Fei 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr
EVA HUTTENLAUCH, MATTHIAS MÜHLING (HRSG.): JOSEPH BEUYS. ZEIGE DEINE WUNDE
Schirmer/Mosel, 2021 | 117 Seiten, 66 Abbildungen | 29,80 Euro (im Museumsshop 18 Euro)
Mehr zur Kunst in und um München gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
DANCE Festival 2021: Highlights des digitalen Programms
Das Fahrrad: Die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne
»Kunst und Leben. 1918–1955« im Lenbachhaus
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton