Highlights des DOK.fest München 2020 @home.
Der Welt auf der Spur
Das DOK.fest München 2020 @home nimmt Gestalt an. Vom 6. bis 24. Mai zeigt das Dokumentarfilmfestival in Partnerschaft mit Kulturserver eine Auswahl seines Programms online. Von ursprünglich 159 Filmen haben 121 den Sprung in den digitalen Raum mitgemacht, weitaus mehr als die von Festivalleiter Daniel Sponsel noch im März erhofften 50 Prozent. Innerhalb Deutschlands können Zuschauer digitale Tickets zu 4,50 Euro pro Film erwerben und zudem freiwillig 1 Euro Solibeitrag an die momentan geschlossenen Partnerkinos des Festivals spenden. Besonders erfreulich ist, dass alle 14 Preise, die bereits geplant und von den Geldgebern zugesagt waren, verliehen werden. Sponsel sieht darin ein wichtiges Signal. »Filmschaffende sind vom derzeitigen Lockdown stark betroffen. Auf unabsehbare Zeit sind weder Dreharbeiten möglich, noch können Projekte konkret geplant werden. Da ist zusätzliche Aufmerksamkeit wertvoll und jede Einnahmequelle bedeutsam.«
Das Filmprogramm war bereits fertig, als das DOK.fest-Team Mitte März entschied, alle Screenings und Veranstaltungen in den digitalen Raum zu verlegen. Doch die Auswahl wirkt keinesfalls von den sich überschlagenden Ereignissen überrundet – ganz im Gegenteil. Vielmehr bietet es einen bisweilen schaurig aktuellen, bisweilen hoffnungsvollen Kommentar und macht deutlich: Dokumentarfilm steht immer im Dialog mit der Welt, protokolliert, hinterfragt, erklärt und rückt zurecht. Das viel beschworene Fenster zur Welt wird so zum Spiegel der eigenen Prioritäten und Entscheidungen.
Besonders deutlich wird das in Filmen wie »#Unfit. The Psychology of Donald Trump« von Dan Partland, der sich bewusst auf unsicheres Terrain begibt: die Frage nach Donald Trumps psychologischer Verfassung und der Unterstellung, er zeige deutliche Anzeichen von Persönlichkeitsstörungen, die ihn untüchtig für das höchste Amt der Vereinigten Staaten machen. Partland versammelt eine beeindruckende Bandbreite an Gesprächspartnern, mit denen er nicht nur Trumps Verhalten analysiert und darüber spekuliert, sondern auch die Bedingungen reflektiert, unter denen eine Diagnose von außen gerechtfertigt sein kann. Der Film ist sicherlich parteiisch und Partland konnte sich kaum zurückhalten, plakativ-effektvolle Statements von Trumps ehemaligen Mitarbeitern wie Anthony Scaramucci zu verwenden, der nach nur zehn Tagen als Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses wieder abgesetzt wurde. Doch scheint es Partland hier weniger um eine erschöpfende Beweisführung zu gehen als um den Hinweis, dass der schlichte Stempel der Dummheit bei Trump zu kurz greift und von der Unterschätzung seiner strategischen Skrupellosigkeit enorme Gefahr ausgeht.
Unter dem Titel »Lasting Memories« versammelt das Festival zudem Filme, die sich mit den Auswirkungen einschneidender Ereignisse auseinandersetzen, etwa mit den generationenübergreifenden Veränderungen und Spuren, die der Holocaust hinterlassen hat. In »Le Fantome de Spandau« porträtieren Idriss Gabel und Maria Calvas ihren Großvater Charles Gabel, der Pastor im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis war, in dem auch Rudolf Hess einsaß. Sharon Ryba-Kahn, Enkelin von Überlebenden der Shoah, erkundet in »Displaced« den emotionalen Zwiespalt, den sie in ihrer Heimatstadt Berlin empfindet, und Francine Zuckerman begibt sich in »After Munich« mit Überlebenden und Angehörigen der Opfer der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 in München auf die Spurensuche nach deren persönlichem Erleben und ihrem Umgang mit den Folgen der Tragödie. Angesichts der akuten Krise sind solch gewichtige Themen sicherlich schwere Kost, aber eben auch ein Anreiz, weiterhin über den eigenen, aktuell massiv verengten Tellerrand hinauszublicken.
Die vielen hochkarätigen Künstlerporträts im DOK.fest-Programm bieten sowohl eskapistische als auch reflektierende Momente. Timothy Greenfield-Sanders’ »Toni Morrison – The Pieces I Am« ist weitaus mehr als ein Porträt der im letzten Jahr verstorbenen Schriftstellerin, denn er zeigt die soziale wie emotionale Stoßwirkung, die von Künstlern und ihrer Kunst ausgehen kann. Morrisons umfassender Einsatz für die Repräsentation und Reflektion der afroamerikanischen Community in ihrem eigenen Land ist kaum wegzudenken aus den Jahrzehnten ihres Schaffens und wirkt heute mehr nach denn je. Ähnlich nah kommt die Filmemacherin Bettina Böhler dem Universalkünstler Christoph Schlingensief in »Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien«. Der Film verdeutlicht zwar, welch schmerzliches Loch sein Tod vor zehn Jahren gerissen hat, doch seine klug reflektierende und kommentierende Stim me, die durch den Film führt, hat eine mehr als tröstliche Wirkung.
Kunst und Künstler, das zeigen diese vielfältigen Porträts auf dem DOK.fest, sind nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern bedienen tief verwurzelte Bedürfnisse, die Menschen und Gesellschaft ausmachen. Da ist ein Film wie »Once Were Brothers – Robbie Robertson & The Band« beinahe wie ein bittersüßer Seelenbalsam: Daniel Roher erzählt von der tiefen brüderlichen Freundschaft der fünf Musiker, die als »The Band« mit Stars wie Robbie Hawkins und Bob Dylan maßgeblich an revolutionären Umwälzungen der Musikgeschichte beteiligt waren. Das herzzerreißende Ende, das die Band und die Freundschaft nach etwas mehr als 15 Jahren nahm, könnte hoffnungslos stimmen. Doch es wird so rührend von warmen Erinnerungen und Dokumenten aufgefangen, die der Bandleader Robbie Robertson und Zeitgenossen wie Eric Clapton und Taj Mahal teilen, dass sich eine tröstliche Nostalgie einstellt, die daran erinnert, sich darüber zu freuen, was bleibt, und nicht das zu bejammern, was man verloren hat. ||
DOK.FEST MÜNCHEN 2020 @HOME
6. bis 24. Mai| Programm und Zugang zum Streamingbereich
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