Nicolas Stemann kommentiert anhand von Strindbergs »Der Vater« mutlos die Geschlechterdebatte.
Der Boden, auf dem die Geschlechter sich bekriegen, ist giftgrün. In den Kammerspielen hat Nicolas Stemann einen Themenabend zum Genderdiskurs inszeniert anhand von Strindbergs Trauerspiel »Der Vater«, in dem ein Ehepaar erbittert über die Erziehung seiner Tochter streitet. Mit perfiden Mitteln trotzt Laura ihrer weiblichen Ohnmacht. Sie suggeriert dem Rittmeister Zweifel an seiner Vaterschaft und seiner Umgebung Zweifel an dessen Zurechnungsfähigkeit. Auf einem Sofa sitzend tragen Julia Riedler und Daniel Lommatzsch in fließendem Rollentausch lässig leiernd den Stücktext inklusive Regieanweisungen vor. Es ist ein klassischer Stemann-Auftakt. Hier wird wieder einmal mit Ausrufezeichen kein Illusionstheater geboten.
Auch die Geschlechtsidentitäten sind nicht mehr klar zugeordnet. Um uns wirklich etwas über diese zu verraten aber, dafür fehlt dem Rollenwechselspiel die Präzision. Wer wann wen gibt, ist ziemlich egal. Die fabelhaften Schauspieler versuchen das Textaufsagen mit Witz aufzulockern, allein spannend wird es dadurch nicht, und die albernen Publikumsansprachen (»Sind Lehrer hier? Ist doch ein toller Job! Immer hitzefrei!«) hätten sie sich sparen sollen. Gefärbt von seinen durch private Dramen befeuerten Ressentiments gegen die Emanzipation schildert Strindberg den Untergang des Patriarchen. Bei Stemann ist es (natürlich) keine böse Intrigantin, die ihn bedingt, sondern ein notwendiger gesellschaftlicher Umbruch.
Als Vertreter einer neuen Generation führen uns Benjamin Radjaipour und Zeynep Bozbay in die Gegenwart. Aus Stehlampen werden Straßenlaternen, zwischen denen wie in einem Musical Flocken herabsegeln. Doch die Zeiten unbeschwerter Liebesromantik sind vorbei. Statt sich selig zu umtanzen, singen die beiden einen Satz aus Judith Butlers Thesen zur Geschlechts identität über »die strategische Verschiebung dieser binären Beziehung und die Metaphysik der Substanz, auf der sie beruht«. Sie holen Bücher aus einer Kiste, beschwören Valerie Solanas’ »Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer«, Deleuze und Guattari und reden schwer gendertheoriebewaffnet auf den im Sessel abhängenden Vater ein: »Warum geht das nicht in deine Birne?« Der olle Papa aber kapiert nichts. Als seine Gesinnungsgenossen stimmen Männer in Holzfällerhemden »Ein Prosit der Gemütlichkeit« an und grölen »Wir bumsen hier, wir bumsen da, 1000 nackte Weiber auf dem Männerpissoir.«
So vordergründig und plakativ ist nicht der ganze Abend. Interessant wird er immer dann, wenn er nicht oberschlau und cool ironisch herumspielt, sondern die Konfusionen, Machtverschiebungen, emotionalen Verluste und Versehrungen im Geschlechterkampf aufscheinen lässt. Doch das geschieht leider zu selten. Am Ende gewinnt die Inszenierung noch einmal an Eindringlichkeit, wenn die großartige Wiebke Puls als verstörtes Zwitterwesen einen mehrstimmigen Monolog vorträgt, mit einem blauen Auge den zum Psychiatriepatienten mutierten Rittmeister und Laura in einem mimt. Zumeist aber bleibt Stemann zu mutlos und zitiert in seinem »Diskurstheater« mit Lektüreschnipseln nur das an, was wir schon in zahllosen Zeitungsartikeln gelesen haben. Der Diskurs findet anderswo statt. ||
DER VATER
Kammer 1| 2., 29. Juni, , 7., 18. Juli| 19.30 Uhr | 14. Juni
20 Uhr | Tickets: 089 23396600
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