Zur Eröffnung des Brechtfestivals fallen Regisseur Christian von Treskow nur Klischees ein
Wenn Theatermacher vor einer Brecht-Premiere allzu nachdrücklich erklären, wie aktuell der 1898 in Augsburg geborene Autor immer noch ist, ist Vorsicht angebracht: Meistens haben solche Statements die Relevanz einer Pressekonferenz von Bayern-Trainer Jupp Heynckes, der den abstiegsbedrohten VfL Wolfsburg zur »schweren Aufgabe« hochjazzt. Der Unterschied ist freilich, dass die Münchner dann entweder humorlos 2:1 siegen oder den Gegner 5:0 abfieseln, auf jeden Fall aber gewinnen, während so mancher Regisseur mit einem mühsam erkämpften 1:1 zufrieden zu sein scheint.
Das erst durch Heiner Müller 1978 in Stückfassung gebrachte Fragment »Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer« hat als Eröffnung des diesjährigen Brechtfestivals einiges an Erwartungen geschürt, zumal als erster Festivalbeitrag des noch relativ neuen Intendanten des Theaters Augsburg, André Bücker. Leider erweist sich dessen Entscheidung, Gastregisseur Christian von Treskow das »Experiment ohne Realität« (Brecht) anzuvertrauen, als wenig glücklich. Anders gesagt: Der einstige Schauspielleiter der Wuppertaler Bühnen gibt einen würdigen Wiedergänger des im Herbst geschassten Bayern-Trainers Carlo Ancelotti.
Mühsam quält sich das Ensemble des Stadttheaters durch eine eher altbackene Inszenierung, die kaum verbergen kann, dass offensichtlich auch dem Gastregieteam kein frischer Ansatz eingefallen ist zu dem von Brecht so gern und oftmals allzu ausführlich geschilderten Konflikt zwischen der Gruppe und dem Individuum in einem extrem ideologisch aufgeladenen Umfeld. Was den Großteil des Premierenpublikums allerdings nicht zu stören scheint. Es bleibt dabei: So mies die Deutschen im Rebellieren sind, im Aufarbeiten sind wir Weltmeister. Wobei diese Inszenierung eher ein Wiederkäuen ist.
Im »Fatzer« fliehen vier Erster-Weltkriegs-Deserteure von Verdun nach Mülheim an der Ruhr, verstecken sich in einem Keller, warten auf den Machtwechsel und zerfleischen sich derweil selbst. Um keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen, stellt von Treskow das Wort »Revolution« raumfüllend als Leuchtschrift auf die Bühne. Die Protagonisten tragen historisierende Kampfanzüge, die Bühne teilt ein Quergraben, der stetig übersprungen werden muss und – die wohl originellste Idee – zeitweise an eine Schießbude mit vorbeiziehenden Zielen erinnert. Der Chor raucht im richtigen Moment Zigarre, die Hure tanzt Josephine Baker und offeriert mit Vorliebe Einblicke unter ihren Rock: 1918 according to Guido Knopp. Wenn von Krieg die Rede ist, wird eine Knarre geschwenkt, wenn Sex das Thema ist, zuckt das Becken und die Hand greift in den Schritt, wenn Fatzer Prügel bezieht, wird er im Anschluss mit einem Eimer Kunstblut überschüttet. All das Spektakel trägt zum akustischen Verständnis wenig bei, vom »guten Zugriff auf den Text«, den Intendant Bücker seinem Wahlregisseur bei der Eröffnung attestiert hat, ist kaum etwas zu spüren.
Die lieblos ein- und ausgeblendeten Musikeinspielungen sind derweil ein starker Hinweis auf eine erst im letzten Moment fertiggestellte Inszenierung, und konsequenterweise kommt der Schlussmonolog vom Band, während die Schauspieler Hasenkostüme tragen, laut Programmheft inspired by Joseph Beuys. Und falls doch noch jemand die Frage nach dem aktuellen Bezug stellen sollte: Nachdem das ganze Stück über historische Schwarz-Weiß-Panoramen eingeblendet wurden, werden zum Finale aktuelle Kriegsvideos auf den Bühnenhintergrund projiziert. Unterforderung pur. Oder wie es Wolfsburg-Trainer Bruno Labbadia nach dem parallel laufenden Freitagsspiel gegen Mainz ausdrückt: »Wir haben heute sehr viele gute Torchancen ungenutzt gelassen.« Die Partie endete übrigens 1:1.
Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer
Brechtfestival Augsburg | Martini-Park | 27. Feb., 1. März | 19.30 Uhr
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