Micha Purucker über das Jubiläum der Tanztendenz und zum Stand der Dinge.

Micha Purucker | © Beate Zeller

Micha Purucker ist Choreograf und im Vorstand der Tanztendenz. 1987 gründete er gemeinsam mit Birgitta Trommler und Angela Dauber vom Tanzprojekt, Jessica Iwanson und Stefan Sixt, Bonger Voges und Angelika Meindl sowie Walter Heun als Geschäftsführer diese Studiogemeinschaft von Choreografen – als erste dieser Art in Deutschland. Im Jubiläumsjahr 2017 gab es am 1. April ein Fest im Schwere Reiter, beim Festival Dance ein Podium mit Pionieren der Münchner Tanzszene.

Das Tanztendenz-Jubiläum wurde nicht mit geballtem Feuerwerk zelebriert.
Unser fünftes Choreografenatelier 2017 hatte nicht direkt mit dem Jubiläum zu tun, aber das Thema Raum nochmal in intensiver Form aufzugreifen war uns doch sehr wichtig. Wir bringen das Thema ja immer wieder auf den Tisch: Schon als die Tanzplattform Deutschland 1998 in München stattfand, hatten wir in den Räumen der Tanztendenz eine Veranstaltung zur Raumthematik – damals mehr praktisch orientiert ging es auch darum, wie später noch gelegentlich, einen Ort für Tanz in München, eine Tanzbühne zu konzipieren. Auch hatten wir uns 2015 Raumkonzepten von und für Künstler zum Beispiel in einer »art lodge« gewidmet. Jetzt zum Jubiläum wollten wir das Thema noch einmal hochfahren, denn es ist ein grundlegendes Thema – unserer Kunst und unseres Vereins, unserer Zeit, in dieser Stadt und für die Künstler hier. Neben der neuntägigen gemeinsamen Arbeit der Kollegen aus dem In- und Ausland gab es wieder die öffentlichen Gratis-Vorträge aus speziellen Perspektiven wie vom Philosophen Marcus Steinweg, dem Virtual-Reality-Spezialisten Dominic Eskofier oder dem Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage Lars Henrik Gass.

Am letzten Abend mit dem Humangeografen Thomas Dörfler war sehr interessant, wiegefährdetdas Konzept »Freiräume« ist und wie man gelebten Raum gemeinschaftlich organisieren kann. Wir versuchen so – wie ja auch in einem künstlerischen Präsentations-Format wie »standpunkt.E« – Kontaktflächen, Reibungsflächen zwischen den einzelnen Sparten herzustellen. Und wir haben das Jubiläum auch, ganz nüchtern, zum Anlass genommen unsere Binnenstruktur zu überdenken.

Es sind inzwischen 25 Mitglieder, die Zeiten haben sich geändert. Hatte das Auswirkung auf die Arbeitsstruktur?
Anfangs, 1987, hatten die fünf städtisch Geförderten sich in einem ersten Schritt einen Probenort im ehemaligen Lindwurmhof erobert. Es ging und geht um eine Basisstruktur: Raum und strukturelle Hilfen für frei produzierende Choreografen; wir waren nie so hermetisch, wie manche andere wollten glauben machen. Heute müssen wir sehen, wer das Konzept der Selbstverwaltung und die Zielsetzungen des Vereins aktiv mitträgt. Es gibt Regeln, die alle beachten müssen, wir sind kein rechtsfreier Raum. Wir versuchen die Raumnutzung auch Nichtmitgliedern zu ermöglichen, wir organisieren Trainingsangebote, Vernetzung und Kommunikation – Tanzkalender, website, Versand – und bieten mit »Offenen Studios« ein Format für den Nachwuchs. Von den Mitgliedern wird ehrenamtliche Arbeit erwartet, zumal wir seit 2008 auch die Spielstätte Schwerer Reiter mitbetreiben.

Die Betriebserlaubnis des Schwere Reiter endet wirklich 2018?
Für freie Künstler ist so eine Spielstätte unverzichtbar. Ich glaube, dass gewollt ist, dass es sich stabilisiert. Ob es von allen Beteiligten in der Verwaltung gewollt wird, weiß ich nicht zu sagen. Ich war damals ja mit in der Jury für den Planungswettbewerb zum Kreativquartiert. Im Moment habe ich die
Befürchtung, dass man ein mutiges Konzept verschnuschelt, klein denkt. Klar, die Bausubstanz, die Haustechnik auf dem Gelände ist problematisch. Aber hat man keinen Mut, keine Traute? Das Schwere Reiter ist – seit zehn Jahren – eine sehr kostengünstige, sehr beliebte Spielstätte, beliebt sowohl bei den Künstlern als auch bei einem Publikum von Tanz, Theater oder Musik. Besucher von außerhalb wundern sich, dass es das in München und mit dieser Atmosphäre überhaupt gibt. Man sollte das schätzen und pflegen. Wenn man – wie man es sich in vielen Städten auf die Fahnen geschrieben hat – dem Investitionsdruck auch noch in solchen Randbereichen nachgibt, indem man zu viel »Kreativwirtschaftliches« ins Schaufenster stellt, verliert man an Spirit, gewinnt aber sicher an Kommerz.

Kunst hat also Legitimationsprobleme?
Es gibt bestimmte Erfahrungen – das hat auch beim Choreografenatelier der Vortrag von Lars Henrik Gass über das Verschwinden des Kinoerlebnisses verdeutlicht –, die machst du nur an bestimmten Orten. Etwa in gemeinsamen Situationen, mit individuellen Erfahrungen, wie z. B. bei einer Performance. Und in der Kunst generell wird man konfrontiert oder genießt, meine ich, etwas, das man nicht weiß, nicht kennt, das »Du« nicht bist. Eine Alterität. Das wäre die Aufgabe. Nur dass eine generelle gesellschaftliche Verständigung darüber, welche Rolle Kunst heute spielen könnte, nicht stattfindet. Man hat sich darauf geeinigt: Was der Markt generiert, das ist es. Alle versuchen, anschlussfähig zu bleiben, man bestätigt sich quasi in seiner Diskurs- und Kritikfähigkeit– in einer ortsüblichen und zeitgeistgängigen Nabelschau.

Was leistet künstlerische Forschung? In München werden ja nicht nur Produktionen, sondern auch Recherche städtisch gefördert. Vielleicht demnächst auch Künstlerarchive.
Kunst produziert erstmal Erfahrungen, ist ein Kommunikationsangebot: Niemand muss bleiben! Wie viele Kunst ist auchder Tanz – weil er mit dem Körper umgeht – von Haus aus interdisziplinär aufgestellt. Aber unsere Auseinandersetzung findet nicht im Sitzen statt, unsere Ergebnisse sind nicht messbar, nicht skalierbar, sie sind flüchtig – das ist auf einer völlig anderen Verhandlungsebene als das, was man mit dem Begriff Forschung gemeinhin verbindet. Aber das ist ja das Interessante an unserer Forschung und das sollte ein Archiv aufgreifen können.

Können Künstler, wie in der Utopie von Thomas Dörfler, ein neues, integratives Stadtviertel gestalten?
Das Prinzip der Tanztendenz ist Kunst, Gastfreundschaft, Austausch, Augenhöhe. Unsere Möglichkeiten sind zwar bescheiden, aber wir sind – sorry! – kreativ ! Wenn es überall finanziellenger wird und jeder mit einem Businessplan herumläuft, versuchen wir dennoch großzügig zu sein. Wir pflegen Residenz- und Austauschprogramme, setzen auf zwischenmenschliche Chemie, machen Leute miteinander bekannt und hoffen, dass etwas zusammenwächst. Darin haben wir 30 Jahre Erfahrung. ||

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