Kammerspiele I: Nicolas Stemann inszenierte mit tollen Schauspielern Tschechows »Kirschgarten« als
trockenen Debattenkommentar.

Gutsbesitzerin Ranjewskaja (Ilse Ritter) will dem Geschäftsmann Lopachin nicht glauben, dass ihre Zeit vorbei ist
© Thomas Aurin

Auf diese Premiere durfte man gespannt sein. Schließlich ist es etwas Besonderes, wenn der Freund postdramatischer Textflächen Nicolas Stemann sich Tschechow zuwendet und erstmals feste Rollen verteilt. Damit nun keiner auf die Idee kommt, er kehre zum Repräsentationstheater zurück, hat Stemann mehrere Figuren nicht altersadäquat, mit zu jungen oder zu alten Schauspielern besetzt. Die Absicht dahinter, uns die Konstruktion von Identitäten vorzuführen, erschließt sich allerdings nur aus dem Programmheft. Und dass er sich als Regisseur treu bleibt, wird ohnehin von Beginn an deutlich.

Auf der leeren Bühne treten die Akteure wechselweise nach vorn ans Mikro, während der rote Vorhang als Symbol einer vergangenen Theaterära, das später heruntergerissen wird, endlos auf- und zugezogen wird. Als kurzer Verweis hätte der Gag funktioniert, so überstrapaziert nervt er bald. Ausdifferenzierte Figurenzeichnung interessiert Stemann nicht. Er nimmt Tschechows Stück über den Untergang einer zu Zukunftsentwürfen unfähigen Gesellschaftsschicht als Material, um die Kammerspieldebatte zu kommentieren und Positionen abzustecken. Auf manche selbstreferenzielle Anmerkung hätte man gerne verzichtet.

Doch immer wenn die Inszenierung den Schauspielern Raum gibt, sich auf den Text zu konzentrieren, folgt man ihr gern, gelingen ihr intensive Passagen und Momente von schöner Komik. Ein fabelhaftes Ensemble hat Stemann versammelt, darunter Ilse Ritter, die die Gutsbesitzerin Ranjewskaja als realitätsblinde Grande Dame gibt, Annette Paulmann als Warja, Julia Riedler als Anja, Peter Brombacher als Kapitalist Lopachin und Christian Löber als für Slapstickeinlagen sorgender Tollpatsch Jepichodow. Und dann ist da die wunderbare Brigitte Hobmeier als fingerschnippend zaubernde Scharlotta, die die Menschen zum Tanzen bringt und der mit ihrer – letzten – Nebenrolle tatsächlich ein Zauberkunststück glückt. Mit welcher Leichtigkeit sie in einem Solo ironische Rollenbrüche, Spiellust und -kunst zusammenführt, das ist hinreißend und sagt mehr aus als viele ideologielastige Theaterkonzepte.

Erst am Ende nähert sich Stemann der politischen Gegenwart, macht es sich dabei jedoch etwas zu einfach. Da stimmt der uralte Diener Firs (mit Samouil Stoyanov jung besetzt) als Vertreter der Ewigvorgestrigen eine Wutrede an, brüllt in Erinnerung an Zeiten, als die Welt noch in Ordnung war: »Früher, da wurde man noch durchgeprügelt!« Das soll Aktualität herstellen, ist aber leider nur eine aus zahlreichen Kabarettabenden bekannte Pointe. ||

DER KIRSCHGARTEN
Kammerspiele| 23. Feb., 23., 31. März| 19.30 Uhr | 21. März
20 Uhr | Tickets: 089 23396600

 


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