Andreas Ammer beim konspirativen Treffen mit dem neuen BÜNDNIS KULTUR.

Christiane Pfau und Kathrin Schäfer | © Armin Smailovic

ICH BIN ZU SPÄT. Und das bei einem so delikaten Auftrag. Christiane Pfau, die kämpferische Herausgeberin des noblen »Münchner Feuilleton«, das sie gerade in der Hand hält, hat mich gebeten, mit ihr und Kathrin Schäfer: ein Interview zu führen. Sie sind die Spitzenkandidatinnen des neu gegründeten »Bündnis Kultur«, das bei der nächsten Kommunalwahl in den Münchner Stadtrat einziehen will.
Christiane Pfau kandidiert gar als Oberbürgermeisterin, ihre PR-Kollegin Kathrin Schäfer führt die Liste an. Sie haben 80 prominente Kandidat*innen aus der Kulturszene gefunden. Noch braucht es 1000 Unterschriften, damit das Bündnis wirklich als Liste bei der Kommunalwahl antreten kann. Dieses Interview soll dazu beitragen.
Die Auswahl ist auf mich gefallen, weil ich als Bürger von Berg am Starnberger See nicht wahlberechtigt, also einigermaßen neutral bin. Außerdem bin ich passionierter Lokalpolitiker, sitze seit 18 Jahren im Gemeinderat meiner Heimatgemeinde Berg – ebenfalls als Mitbegründer einer selbst gegründeten Wählervereinigung namens QUH (quer, unabhängig, heimatverbunden). Wir sind auf Augenhöhe mit der Staatspartei, zweitstärkste Fraktion im Gemeinderat, stellen die 3. Bürgermeisterin, den Jugend- und den Kulturreferenten (mich). Also all das, was Christiane Pfau und Kathrin Schäfer bald machen wollen. Aber jetzt bin ich Journalist. Also: Keine Verbrüderungen! Kurze Begrüßung … Aufnahmegerät an. Es ist nicht warm im Altbaubüro, wo das Interview stattfindet.

Andy Ammer: Es geht los! – Keine Vorgespräche bitte.
Christiane Pfau: O. k., keine Vorgespräche.

Erste Frage: Ich stand am Mittleren Ring im Stau. Was wollt ihr dagegen tun?
Kathrin Schäfer: (ungläubig) Gegen den Stau am Mittleren Ring?
(AA: Irgendetwas zwischen Staunen, Entsetzen und Ungläubigkeit spiegelt sich auf den Minen meiner beiden kulturaffinen Interviewpartnerinnen. Sie haben ein »Bündnis Kultur« gegründet, keinen Automobilfahrer*innenverein. Trotzdem besteht die Arbeit eines Stadtrats erfahrungsgemäß mehr aus Beton als aus Kultur. Also, die Antwort?)
CP: Was soll man da tun? Weniger Autos, besserer ÖPNV. Klar fährst du von Berg nach München mit dem Auto, weil die Stammstrecke gesperrt ist. Auf der Stammstrecke muss es zügiger vorangehen. Wir verstehen nicht, warum das so lange dauert.
KS: Ich finde, wenn man sagt, wir sind für Kultur und wir stehen für Kunst, Bildung und Soziales, dann muss man natürlich auch gucken, dass man überall ein Gleichgewicht hinbekommt. Wir haben natürlich auch Klimaziele im Hinterkopf. Aber um einen konkreten Vorschlag zu machen – glaube ich – sind wir zu jung.
(AA: Immerhin, klingt fast schon wie eine Politikerinnen-Antwort, sie haben sich mit der Aussage echt Mühe gegeben, vielleicht sollte ich, um Vertrauen zu schaffen, doch gestatten zu sagen, was ihnen auf dem Herzen liegt.)

Wie fing das mit dem BÜNDNIS KULTUR eigentlich an?
CP: Es fing damit an, dass wir beobachten, dass die Einsparungsnummer nach dem ganzen Corona-Desaster noch schlimmer ist als während Corona. Es wird an den freiwilligen Leistungen rumgeschnitten und die Kultur ist am meisten betroffen. Also sagten wir uns: Wenn wir etwas ändern wollen, können wir nicht drauf warten, dass irgendwelche Mitglieder eines Stadtrats mehr oder weniger kompetente, gutwillige Entscheidungen treffen, die dann in den meisten Fällen sowieso nie umgesetzt werden. Wir können nicht immer nur die Bittsteller sein, die darauf warten, dass andere Leute freundliche Gesten verteilen, sondern wir müssen in das System rein.
KS: Der Leidensdruck war zwischendurch so hoch, dass wir uns schon überlegt haben, in welche Partei müssen wir eintreten, damit wir da mitmischen können? Dann sind wir zum Schluss gekommen, dass wir das unabhängig von etablierten Parteien machen.
CP: Wir wollten keine Kompromisse eingehen, bevor es überhaupt richtig losgeht.
KS: Deswegen haben wir gesagt, das müssen wir jetzt selber von der Pike auf erfinden und sind noch in diesem Prozess befangen. Wir sind ab jetzt nicht nur beratend tätig, sondern möchten in den Stadtrat hinein, um mitentscheiden zu können, um mit den Leuten direkt reden zu können.
CP: Das ist genau so, wie es hier mit dem »Münchner Feuilleton« losging. Die Tageszeitungen haben damals ihre Kulturflächen reduziert. Plötzlich gab’s einfach keinen ausreichenden Raum mehr für kulturelle Berichterstattung. Da gab es nur: Entweder man nimmt es hin oder man gründet eine neue Zeitung, die sich nur mit den Kulturflächen beschäftigt und sonst nix. Und das ist jetzt eine analoge Situation: Wir können uns entweder anschauen, wie wir alle weggespart werden und wie sich die Lebensqualität in unserer Stadt verschlechtert, und zwar genau im Bereich Kunst, Bildung und Soziales. Es gehört ja sehr, sehr viel mehr zur Kultur als ein Maler oder eine Regisseurin. Kurz gesagt: Wenn wir jetzt nicht zuschauen wollen, wie das alles den Bach runtergeht, dann müssen wir uns da einbringen.

Trotzdem muss man sich natürlich die meiste Zeit in diesen Gremien mit Bauanträgen beschäftigen.
KS: Das ist ja in Ordnung. Als wir uns überlegt haben, wo wollen wir hin und warum wollen wir in den Stadtrat, haben wir gesagt, wir müssen nicht unbedingt nur in den Kulturausschuss. Auch in die anderen Gremien muss man den Kulturaspekt einbringen und da gehört auch der Bauausschuss dazu. Denn man kann nicht nur alles für den Kommerz bauen, man kann auch Lösungen finden, die dann Freiflächen für Subkultur umfassen. Die Kultur ist ein breites Feld, und da gehört das Soziale dazu und dazu kann man bestimmt auch im Bauausschuss etwas bewegen.
CP: Ja. Wir wollen überall hin … auch in den Bauausschuss.

Hamburg hat jetzt eine Elbphilharmonie, also einen Konzertsaal, der München gerade fehlt, Hamburg baut jetzt mit dem größten, tollsten Architekturbüro der Welt eine Oper. In München modert der Gasteig ein bisschen vor sich hin. Sind das Sachen, wo ihr euch engagieren wollt?
CP: Das werden wir tun. Der Gasteig ist schon auf einem relativ guten Weg. Es gibt Beschlüsse, es gibt ein Timing, es gibt jetzt tatsächlich das Engagement der Stadt, die selber bauen will und nicht mehr auf den Investor wartet. So etwas ist leider lange vonseiten der Stadtverwaltung eher boykottiert als befördert worden. Und natürlich brauchen wir ein Konzerthaus und Kulturorte, die definitiv fehlen, vom Pop bis zur Jugendkultur.
KS: Trotzdem möchte ich da einhaken, denn diese großen Gebäude müssen bespielt und unterhalten werden. Wir haben das neue Volkstheater gebaut, und jetzt wird dort gekürzt! Da wird das Haus in wunderbarer Weise fristgerecht hingestellt, eines der schönsten Theater, das man sich vorstellen kann. Und dann kommen Etatkürzungen und man denkt sich: Kann ich mich überhaupt noch freuen, dass bisher hier alles so wunderbar gelaufen ist, wenn nichts weiter passiert?

Einer eurer Slogans heißt »Kultur schafft Lebensraum«. Lebensraum ist ja auch ein großes Münchner Problem. Könntet ihr mal erläutern, was ihr mit »Lebensraum« meint?
CP: Also für uns ist die Kultur das, was überhaupt das Leben zusammenhält. Wir fragen uns, wie leben wir? Für uns ist Kultur der Qualitätsbegriff, der das Ganze in ganz andere Farben taucht. Wenn wir erwägen, ohne Kultur leben zu wollen, dann will ich eigentlich gar nicht hier leben. Aber wenn, dann möchte ich gerne, dass es tatsächlich auch einen Kulturbegriff in allen Varianten gibt. Und wenn ich höre, dass Leute in der Kulturwirtschaft tätig sind, aber keine Miete mehr bezahlen können, dann ist es notwendig, dass wir mit einem neuen Verständnis von Wohnraum an die Problematik rangehen.
KS: Lebensraum bedeutet auch, dass Kultur oder Kunst sinnstiftend sind. Das gemeinschaftliche Erleben, sich mit Themen auseinandersetzen, all das macht das Leben lebenswert. Und deswegen ist der Lebensraum etwas absolut Ideelles, das man braucht, damit man geistig fit bleibt, damit man Denkräume schafft und Gemeinschaften bildet. Eine Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn man einen Lebensraum hat, den man gemeinsam teilt.
(AA: Jetzt sind sie in ihrem Reich: sehr große Worte – Zeit für konkrete Aussagen, triviale Probleme, vielleicht etwas erneute Verunsicherung. Mal sehen, wie sie reagieren, wenn es um das meist diskutierte Problem der Stadt geht.)

Wohlan: Das derzeit größte, gemeinschaftliche Thema der Stadt: Seid ihr für die Eisbachwelle?
CP: Was da passiert ist, das ist doch Wahnsinn. Und typisch für München. Es wird geputzt und geschrubbt. Das Einzige, was in dieser Stadt wirklich tadellos funktioniert, ist die Straßenreinigung. Es ist ja toll, dass man hier im Vergleich zu vielen anderen Städten vom Boden essen kann. Hauptsache sauber. Aber reicht das?
KS: Aber das war jetzt nicht die Antwort auf die Frage, ob wir für die Eisbachwelle sind, weil ich finde schon diese –
CP: Vor lauter Putzerei haben sie die Welle zerstört.
KS: Aber weißt du, was ich so dramatisch finde an dieser Eisbachwelle? Da ist jemand umgekommen. Natürlich muss man für Sicherheit sorgen. Und dann gehört, finde ich, es sich auch so, dass man mal bis auf den Grund geht, um zu gucken, was ist da eigentlich? – Und dann kommt jemand und macht illegal ein Brett hinein – und schwupps ist die Welle wieder da. Ja, dann denke ich mir auch so: Wow, es könnte so einfach sein. Und wir müssen erst durch diesen ganzen Bürokratiewust.
CP: Effektiver, pragmatischer, kurze Wege, überlegen: Wo ist das Problem? Und dann sucht man die Lösung und dann macht man nicht irgendwie einen riesen Bohei drum herum, sondern zielorientiert, was die Leute wollen und brauchen in der Stadt.
(AA: Hoppla, das Thema hat uns – wie es zu erwarten war – weggeschwemmt … Zeit wieder über echte Probleme zu reden. Ich höre mich sagen …)

Ich möchte noch etwas über Politik reden. Wir wissen ja nicht, wie die Wahl ausgeht. Aber wenn ihr jetzt das Zünglein an der Waage wärt zwischen Dieter Reiter und seinem Konkurrenten…CP: Er heißt Clemens Baumgärtner.
(AA: Ist mir als Landbewohner doch egal.)
Wenn ihr das Zünglein an der Waage wärt, wenn ihr eine Koalition eingehen könntet oder eine Minderheitenregierung tolerieren: Was würdet ihr tun?
CP: Mit der Eisbachwelle oder grundsätzlich?
Nein, grundsätzlich. Es geht um den Bürgermeisterposten. Angenommen: Ihr stellt zwei, drei Stadträte und auf euch kommt es an.
KS: Es geht darum, wohin wir fraktionieren würden?
CP: Also die Kunstschaffenden sind, ihrer Mentalität entsprechend, nicht unbedingt in der rechtskonservativen Abteilung zu finden, sondern die sind eher konsumkritisch, vielleicht auch leicht antikapitalistisch. Aber sie sind wahrscheinlich eher Mitte links angesiedelt. Also sind wir möglicherweise dann auch dort zu verorten. Vielleicht.
(AA: Kathrin, die vorsichtigere der beiden, macht plötzlich einen kleinen Rückzieher)
KS: Noch sind wir nicht so weit, dass wir auf dem Wahlzettel stehen. Das Erste war unsere Aufstellungsversammlung. Wir haben 80 sehr interessante Mitstreiter*innen gefunden. Der nächste Schritt wird sein, im Dezember 1000 Unterschriften zu sammeln von wahlberechtigten Münchner*innen, die in der Vorweihnachtszeit und danach mit ihrem Ausweis in sieben Bürgerbüros gehen müssen, um dort eine Unterschrift zu leisten, damit wir überhaupt auf den Wahlzettel kommen. Und wenn wir auf dem Wahlzettel sind, dann gehen wir natürlich in einen sehr kurzen, knappen Wahlkampf.
CP: Wir haben in München sieben Bürgerbüros, in denen diese Listen ausliegen. Und Tatsache ist, dass wir versuchen werden, diese tausend Stimmen auch mithilfe der Verteiler von den Leuten, die auf der Liste stehen, zu erreichen. Also ich meine, das ist die spannendste und tollste, schönste Liste, glaub ich, die jemals bei einer Stadtratswahl, bei der Kommunalwahl zu sehen war, weil …
(AA: Jetzt sind sie endlich im Wahlkampfmodus. Endlich Parolen. Keiner spürt mehr die Kälte.)
CP: Ja, es ist die tollste Liste, die man sich vorstellen kann, weil mit Sicherheit jeder, der in die Kabine geht, irgendeine Person kennt. Das sind ja keine No-Names, sondern alles Leute, die in der Kultur oder im öffentlichen Leben irgendwie ihren Radius haben und …
(AA: Je schmissiger Christianes Thesen werden, so nervöser wird zwischenzeitlich Kathrin. Sie hat sogar schon den Finger gehoben, während Christiane energisch auf den Tisch klopft. Wird es ihr zu abgehoben oder zu prahlerisch?)
KS: … und wir haben den Kaminkehrermeister, der hier das ganze Viertel abdeckt, wir haben ’ne Friseurmeisterin drin, den Copyshop in der Sedanstraße haben wir auch. Natürlich sehr viele aus der Kultur, weil das eben unser Hauptbusiness ist, aber ebenso Studenten, Schülerinnen. Unser Vorteil ist, wir kommen aus der PR. Wir haben eine Strategie entwickelt, was wir vorhaben, wie wir es servieren, sodass unsere Leute es weitergeben können.
CP: Das können wir! Wir schreiben ja sonst auch hin, wann ist die Veranstaltung, um wie viel Uhr geht’s hier los und wo gibt’s Tickets?
KS: Wir können das sogar sehr gut, aber wir wissen, es geht auch um Inhalte. Hier in den Räumen saß der harte Kern, und wir haben zusammen all diese Wahl-O-Mat-Fragen beantwortet. Positionen bezogen. Und das hat Spaß gemacht, weil wir einen guten Konsens gefunden haben. Wir sind achtzig Köpfe, die man herzeigen kann. Und jeder kann sehen, oh schau mal, den kenn ich doch von der Bühne, aus dem Fernsehen, aus der Zeitung und das … ist mein Kaminkehrer.
CP: Ja genau, wir sind ein Haufen Wahnsinniger und zunächst natürlich schon wie ein Sack Flöhe. Aber wir wollen in den Stadtrat, das ist der Plan.

Ihr meint das wirklich ernst?
KS: Ja, ja, das ist jetzt keine Spaßabteilung oder so was.

Auch nicht im Sinn von Christoph Schlingensiefs Aktionspartei »Chance 2000«?
CP: Nein, nein, nein, nein. Es ist bierernst. Wir wollen da rein und wir sagen, wir wollen da rein, weil wir glauben, dass wir die Kompetenz mitbringen, dass wir was ändern können und dass wir definitiv die Einzigen sind, die sich in der Kultur so gut auskennen, dass wir tatsächlich nicht übergangen werden können. Im Moment ist es ja so, dass im Kulturausschuss oder den betreffenden Ausschüssen oft Leute sitzen, die keinen Sachverstand mitbringen.
KS: Wir kennen uns aber natürlich auch. Das ist jetzt mal kurz off records, ja ….
(AA: Das ist jetzt etwas naiv, sich einen Journalisten ins Haus zu holen und zu denken, man könnte »off records« mit ihm reden. Nix da, keine Absprachen, das Band läuft!)
KS: Christiane ist die Forschere und ich bremse sie manchmal ein, denn es gibt Dinge, wo ich mir denke, wir sind noch im Entstehen und wir sollten immer positiv bleiben.
CP: Aber im Ernst. Ich finde, dass zu viele Dilettanten im Stadtrat sitzen, die über unsere Sachen entscheiden. Die entscheiden übers Kreativquartier und waren da noch nie. Die waren noch nie in der Dachauer Straße, die haben überhaupt gar keine Ahnung, was da grad los ist mit der Mietpreiserhöhung und so weiter … da braucht’s jemanden, der in so ’ner Sitzung sagt: Moment mal, wisst ihr eigentlich, worüber ihr da redet?

Wieso ist Kultur für eine Stadt so wichtig, dass es ein extra Bündnis dafür braucht? Ist es wichtiger als zum Beispiel eine Tierschutzpartei, die ich ja wegen ihrer Partikularinteressen immer etwas verdächtig finde. Wieso noch eine neue Gruppierung?
CP: Also Tierschutz hat ja durchaus was mit Kultur zu tun. Es geht im Normalfall um Haustiere, domestizierte Tiere. Es sind ja nicht irgendwelche Löwen, die da draußen rumlaufen.
KS: Noch mal gesagt: Die Kultur ist der Bereich, wo überproportional gespart wird. Aber die Kultur ist auch der Bereich, wo du die Leute zusammenbringst und wo eine Lebensqualität für eine Stadt entsteht. Und diese Lebensqualität hat auch wieder Auswirkungen auf Besucher*innen, die kommen, … die kommen nicht nur fürs Oktoberfest, sondern auch in die Staatsoper, in Museen oder in die städtischen Theater. Das ist ja ein Kosmos. Du kannst es nicht auseinanderdividieren. Sobald du aber anfängst, Strukturen zu zerstören, und an dem Punkt sind wir jetzt angelangt … wenn die Kammerspiele aufgefordert werden, ihre Rücklagen aufzubrauchen, dann stehen die mit dem Rücken zur Wand.
CP: Sie machen halt weniger Produktionen, sie machen keine Gastspiele mehr.
KS: Unterbrich mich nicht!
(AA: Huch, ein Kompetenzgerangel? Jetzt werden sie ehrlich, fast schon wütend, leidenschaftlich und klopfen sogar mit den Händen auf den Tisch.)
KS: Man muss auch dafür sorgen, dass der Nachwuchs kommt. Und deswegen gehören für uns Kulturbildung und Soziales zusammen. Wir wollen, dass in den Schulen was verändert wird. Wir wollen, dass die Schulen sich für die gesamte Kultur interessieren und nicht nur für den Kanon, der in der Oberstufe gelesen werden muss, … sondern dass wir weiter die Kinder- und Jugendtheater fördern, und zwar so fördern, dass die Sozialarbeit machen, mit Workshops, und die Leute an Theater heranführen. Wenn du bis zu ’nem gewissen Alter nicht im Theater warst, dann gehst du nachher nicht einfach von alleine hin. Man darf diese Strukturen nicht zerstören. Wenn die weg sind, kommen die so schnell nicht wieder. Und ich glaube wirklich, dass man … dass man … wie soll man das knackig sagen? … Ich will, dass man das lebenswerte München als solches erhält. München ist dabei, etwas zu verlieren, weil nur noch auf Zahlen geguckt wird. Ich muss auch das Individuelle fördern und ich muss auch gucken, dass die Wiege der Demokratie erhalten bleibt.
CP: … die Kultur!
KS: Ja, damit die Leute klug bleiben, Mut haben, sich mit etwas auseinandersetzen wollen, nicht nur weichgespült werden wollen, sondern die auch bereit sind, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen und nachher zu sagen, ich bin nicht einverstanden oder ich bin es doch. Diese ganze Kultur am Leben zu erhalten, das sehe ich als unsere Aufgabe.
CP: Ich bin wirklich total dagegen, an der Kultur zu sparen, dann kannst du gleich an den Wurzeln der Demokratie sparen. Dann braucht sich keiner mehr drüber aufregen, wenn es auch in München einen Rechtsdrall gibt. Ich finde, dass man die Kunst als die größtmögliche Freiheit in der Stadt verstehen muss. Und da gehört die freie Szene genauso dazu wie die städtischen Theater. Das Erste, was hops geht, ist ja die freie Szene. Die freie Szene ist aber das, was tatsächlich das Fundament herstellt, auf dem dann Stadttheater weiterarbeiten können.
(AA: Wenn man sie reden lässt, werden die beiden Neupolitikerinnen schnell wolkig. Erneut Zeit für ein konkretes Problem, das politisch mitentschieden werden muss.)

Anderes Thema: Ich bin gebürtiger Münchner. Für mich war die Olympiade 72 ein Erweckungserlebnis, weil es München geschafft hat, mit dieser Olympiade auch einen Kulturwandel herzustellen. Die Stadt wurde schick und toll und freundlich. Wie steht ihr zu Olympia? Immerhin etwas, das in der nächsten Legislaturperiode verhandelt werden muss?
KS: Wenn du die Geldflüsse für Großevents anschaust, dann sind die Einzigen, die davon profitieren, der Kommerz, das IOC oder die UEFA. Und deshalb frage ich mich, ob und wie das hier in München vonstattengeht. Ich bin betroffen durch ein kleines Gelände im südlichen Teil des Olympiaparks. Da ist der Fußballverein meines Sohnes, und die haben signalisiert bekommen, dass dieser Bereich plattgemacht wird. Da sollen Basketballfelder hin.
CP: Also ich persönlich bin dagegen.
KS: Ich habe auch dagegen gestimmt.
CP: … aber es gab ein paar Leute, die dafür waren. Es waren auch Kulturschaffende dabei, die dafür abgestimmt haben.
KS: Es erhofft sich ja jeder etwas anderes. Und ich sehe schon, dass in solchen Entscheidungen jeder seine persönliche Erfahrung hat.
(AA: Zum ersten Mal in dem Gespräch machen sie sich Gedanken, wie sie konkret als Politiker entscheiden würden, nicht einfach, aber sehr schön. Noch etwas Utopie vielleicht)

Vorausgesetzt, ihr schafft die tausend Unterschriften, ihr werdet gewählt, und zwar richtig gewählt, nicht nur mit einem Vertreter. Habt ihr irgendwas, was nach den sechs Jahren dann dastehen soll, was ihr gemacht habt?
CP: Absolut. Also ich spinne einfach nur rum: Das Kreativquartier gehört dann den Künstlern. Es wird mit einem Blankoscheck ausgestattet und die Künstler werden in Ruhe gelassen, werden nicht mehr kontrolliert, sondern können machen, was sie wollen. Und wenn sie sich die Köpfe einschlagen, dann schlagen sie sich die Köpfe ein, das ist ihr gutes Recht. Dazu gibt es die Jutier- und die Tonnenhalle, die tatsächlich rein für künstlerische Zwecke zur Verfügung stehen und für keine Brauerei-Verpachtungen, Messen oder kommerzielle Nutzungen zweckentfremdet werden. Das gesamte Kreativquartier wird einfach wieder dahin zurückgeführt, wo es eigentlich mal herkam, und als Biotop verstanden. Zweitens gibt es eine große Menge an neuen Wohnungen, auch für Leute, die in den kreativen Berufen tätig sind, die erschwinglich sind, mit einem Energieeffizienzlevel, das von mir aus gerne »E« heißt, nämlich Einsparung und effektiv. Und es wird vor allen Dingen im ganzen städtischen Schulwesen der Kulturbegriff völlig neu gedacht, und zwar ab Kindergarten und dann ab erster Klasse, wo es ein völlig neues Integrationskonzept für ausländische Kinder gibt, die einen Sprachbedarf haben. Und dann wird sich da auch das Stadtbild wieder verändern, und zwar positiv.
(AA: Positiv bleiben … und ein langer Monolog, an dessen Ende sie »Stadtbild« sagt!)
Genau, das Stadtbild, diese Schwachsinnsdiskussion. Also hey, echt, wirklich. Also das ist ja der helle Wahnsinn alles. Ich möchte ein München haben, in dem wirklich diese Prämisse, mit der ich aufgewachsen bin, »leben und leben lassen«, wieder gilt!
(AA: Holla! – Jetzt wird die gute Christiane Pfau: sehr energisch.)
CP: Dieser wirklich hervorragende weiß-blaue Lässigkeitscharme, den die Stadt einfach mal in den achtziger Jahren hatte, als ich angefangen habe, nach München zu fahren, aus Ebersberg, und immer gedacht habe, das ist die schönste Stadt der Welt. Ich konnte mir gar nichts Tolleres vorstellen, weil hier war es einfach cool. Ja? Ich sah: Hier ist es cool, hier sind ’n Haufen Leute aus Gott weiß woher. Es gibt Flächen, wo man hingehen kann oder wo es irgendwelche riesigen Flohmärkte gab. Und wo Leute Musik machen konnten, wo es Studios gab, die man nutzen konnte, wo es Probenräume gab, wo’s wirklich die Möglichkeit gab, ähm, die, … die Stadt zu einem Lebensort zu machen. Also zu einem freien Ort.
(AA: Ich höre mich, ganz Moderator, sagen: »Das war jetzt das große Schlusswort der Bürgermeisterkandidatin vom Bündnis Kultur. Jetzt muss die Nummer 1 der Liste ran!«)
KS: Ich kann das nur unterstützen. Ich bin ein großer Anhänger von individuellen Entscheidungen und individuellen Nutzungsmöglichkeiten. Und mich regt die Bürokratisierung wahnsinnig auf. Ich finde, dass man das, was man hier an Potenzial hat, auch mal zulassen soll. Ich muss nicht immer alles regeln und reglementieren. Und die Politik muss sich auch nicht immer überall einmischen.
CP: Genau. Die Politik soll gefälligst mal die Finger weglassen. Die sollen mal irgendwie ihre Bürger und Bürgerinnen auch in Ruhe lassen.
KS: Es entstehen immer mal wieder so Biotope wie das »Kosmos unter Null«. Das ist so ’ne Baugrube, am Luitpoldpark. Und auf einmal entstehen da Gespräche mit Anwohnerinnen und du hast auf einmal das Gefühl, wir kommen zusammen, wir sehen uns unter ganz anderen Bedingungen. Ich bin jetzt nicht im teuren Lokal, ich bin auch nicht irgendwo verräumt, sondern da ist so ’ne Brache, die bietet viele Möglichkeiten. Die einen füttern die Hühner und die anderen trinken ein Bier und die dritten machen Pizza und, und, und … dann sitzt du neben der alten Dame, die dir irgendwas erzählt. Ja? Und auf einmal entsteht von selbst so eine Nachbarschaftshilfe, ein Miteinander. Und genau das ist das, was ich gerne hier in München wieder mehr hätte, dass es wirklich Möglichkeiten gibt, die man sich selber ausdenken kann, wo man einfach einen Boden dafür bereitet – Ja. – Damit das wieder ’ne gute Stadt wird für … Individualisten.
(AA: langsam werde ich unruhig, würde das Gespräch gerne beenden, was bei meinen Interviewpartnerinnen, die das merken, dazu führt, dass sie jetzt plötzlich noch ganz viel loswerden wollen. Sie haben viel auf dem Herzen, da hat sich einiges an Wut angestaut.)
CP: Ich bin für die Selbstverantwortung von Bürgern und Bürgerinnen, die hier leben. Also dass die Politik nicht immer total Panik kriegt, wenn irgendjemand irgendwas alleine oder eigenmächtig, selbstermächtigt macht, weil das könnte ja um Gottes Willen keine Ahnung was – … Entweder es ist lebensgefährlich oder es ist irgendwie verboten … Äh, also in München hat das irgendwann in den neunziger Jahren, angefangen, dass die Kontrolle der Kultur so überhandgenommen hat und alles absolut angstbesessen ist. Als ob man niemandem, der über 18 ist, zumuten kann, alleine eine Straße zu überqueren. Oder dass man Interessengruppen, die in einem Stadtteil vielleicht eine Initiative auf die Beine stellen, dass man die einfach mal laufen lässt, ja? Es gibt dann unendliche Regularien, was die dürfen, was die nicht dürfen, was ist der Brandschutz, wie viele Autoparkplätze müssen irgendwo vorhanden sein, bevor jemand seinen Tapeziertisch aufstellen darf. Die Stadt gehört den Bürgern und den Bürgerinnen und mit Sicherheit nicht den Autos und vor allen Dingen auch nicht irgendwelchen Kontrollfreaks, die denken, sie müssen alles erst erlauben, bevor es überhaupt stattfindet.
(AA: Also eines muss man den beiden Damen lassen, Power haben sie! Ich schalte das Aufnahmegerät aus, sage brav …)
Ich wünsche Euch allen erdenklichen Erfolg!

… und sie hören noch lange noch lange nicht auf, mir ihr Herz auszuschütten, von ihrem Vorhaben zu schwärmen, für das sie so sehr brennen. Keiner spürt mehr die Kälte im schlecht geheizten Haidhauser Ladenbüro. Am Ende rechnen die beiden sogar sehr pragmatisch vor, wie ihre Ideen zu finanzieren sind: Nämlich mit der Einführung einer Kulturabgabe auf Hotelübernachtungen (in Bayern bisher von Söder verboten, wie sie in vielen Städten der Bundesrepublik allerdings schon gang und gäbe ist). Dann würden die vielen Gäste von Adele und dem Oktoberfest nebenbei die freie Szene und die Theater in München finanzieren. Man muss noch träumen dürfen, selbst wenn man dafür eine Partei gründen muss. Ich danke für das Gespräch. ||

BÜNDNIS KULTUR
www.buendnis-kultur.de 

 


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