Das neue »Aschenbrödel« am Gärtnerplatz: Zauber mit kleinen Schönheitsfehlern.

Mit seiner Neuinterpretation des Märchenklassikers »Aschenbrödel « präsentiert Ballettdirektor Karl Alfred Schreiner am Gärtnerplatztheater München eine Inszenierung der Kategorie »farbenfroh und familienfreundlich« – und zugleich einen Abend, der die musikalische Grundlage des Werks neu sortieren musste. Denn Schreiner wählte nicht die Musik von Sergej Prokofjew, zu der 1945 am Bolschoi-Theater getanzt wurde und die seither die Tradition bestimmte: Frederick Ashton in London, Victor Gsovsky in München, Tom Schilling in Berlin, Maguy Marin in Lyon, Rudolf Nurejew in Paris, John Neumeier in Hamburg, Heinz Spoerli in Zürich und Vladimir Malakhov in Berlin schufen ihre Choreografien dazu. Andererseits gab es schon im 19. Jahrhundert diverse Aschenbrödel-Ballette zu Musik verschiedener Komponisten. Schreiner griff zu einem (auch nicht selten verwendeten) Spezialfall – zu Johann Strauss (Sohn). Dessen spät entstandenes, einziges Ballett, 1898 begonnen und durch Strauss’ Tod unvollendet geblieben (und 1901 von Josef Bayer arrangiert), entfaltet in der originalen Form nur bedingt Wirkung. Abschnittsweise plätschert die Komposition gar allzu verträumt dahin. Gut also, dass Schreiner die Partitur mit anderen Strauss-Kompositionen ergänzte, darunter einem Csárdás aus »Ritter Pásmán«. Dem Orchester unter Dirigent Eduardo Browne gebührt ein großes Lob, denn dank seiner energisch-schwungvollen Präsentation wirkt der musikalische Eindruck trotz des dominanten nostalgischen Grundtons lebendiger als das historische Material vermuten lässt.

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Ein Fest für Augen und Ohren
Schon zu Beginn setzt Schreiners Produktion starke ästhetische Akzente. Die Kostüme begeistern mit Fantasie, Detailreichtum und einer klaren Charakterzeichnung. Bregje van Balen unterstreicht mit starken Farbkontrasten und klug gewählten Accessoires die Charaktere der zahlreichen Tierfiguren. Darunter: drei heldenhafte Waschbären, Chamäleons in Steampunk-Ästhetik und ausgesprochen coole Flamingos. Dazu fügt sich das schlichte, technisch verspielte Bühnenbild von Kaspar Glarner und Simon Schabert, dessen Kulissenteile schwerelos durch die Fantasiewelt schweben, in die Schreiner auch seine Figuren versetzt. Dezente Projektionen, atmosphärisches Licht und die Doppelnutzung einiger Requisiten unterstreichen diese Leichtigkeit. Gar nicht vergleichen lässt sich Schreiners »Ballettmärchen « mit Renato Zanellas Produktion an der Wiener Staatsoper 1999 – in der Schreiner selbst mitgetanzt hatte –, die mit dem Star-Couturier Christian Lacroix in einem Brautkleiderfinale mündete.

Aschenbrödel inmitten der Tiere – Dean Elliott (Chamäleon), Ariane Roustan (Lama), Gjergji Meshaj (Flamingo), Micaela Romano Serrano (Aschenbrödel), César Lopez Castillo (Flamingo) || unten: Die hilfreichen Waschbären – Nicolò Zanotti, David Valencia, Hyo Shimizu | © Marie-Laure Briane (2)

Musikalisch meldete sich das Orchester des Gärtnerplatztheaters in großer Form: Ein traumhaft schönes Solocello sowie ein insgesamt kraftvoller Klangkörper sorgten für jene märchenhafte Aura, die das Stück trägt – auch wenn Strauss’ Material selbst gelegentlich vorhersehbar bleibt.

Figuren voller Witz – und ein Aschenbrödel abseits des Klassischen Schreiners Figuren sind nahbar, witzig und spürbar mit Herz gezeichnet. Dass er sich nicht sklavisch am überholten Frauenbild des klassischen Märchens orientiert, in dem die einzig wichtige Charaktereigenschaft der Protagonistin ihr Aussehen ist, trägt viel zum Charme des Abends bei. Aschenbrödel und der Prinz begegnen einander auf einer Ebene, teilen eine innere Welt statt sozialer Rollenbilder. Eine dankbare Interpretation, wenngleich sie die Glaubwürdigkeit der Liebesgeschichte schmälert. So ist der Prinz hier mehr als ein bloßes Requisit und Aschenbrödel darf resolut wie kämpferisch durch die Erzählung gehen. Micaela Romano Serrano verkörpert die Titelrolle mit einer Kraft und klaren Linien, die unweigerlich Assoziationen zu Ausdruckstänzerinnen der 1920er Jahre wecken, während mit Ethan Ribeiro ein tagträumender und sensibler Prinz auftritt. Im Finale wirkt ihr Kuss mehr höflich als das Produkt der großen Liebe; vielleicht, weil beide zu sehr in ihren Traumwelten leben.

Obwohl der Fokus der Kompanie auf modernen Tanzformen liegt, geraten manche Passagen recht akrobatisch. Diese tragen zwar zum Witz der Erzählung bei, wirken jedoch teilweise ziellos. Nach der Pause gewinnt das Stück deutlich an Fahrt: Der zweite Teil bietet nicht nur mehr Lacher, sondern vor allem spürbar höheres tänzerisches Tempo. Ein starkes Ensemble umrahmt die Handlung – sei es in den Rollen der Leuchtkäfer oder der Hofleute. Montana Dalton und Chia-Fen Yeh glänzen als wunderbar fiese Stiefschwestern, während Yunju Lee eine Stiefmutter zeichnet, deren Bewegungen fast marionettenhaft wirken und an den Animationsstil Tim Burtons erinnern. Nostalgisch in der musikalischen Basis und zugleich zeitgemäß durch Schreiners Handschrift führt der Abend schließlich drei Paare zum Happy End. Das Premierenpublikum dankte mit minutenlangem Applaus und Standing Ovations. Es dürfte kaum überraschen, wenn sich die eine oder andere Eintrittskarte – gerade für die jüngsten Ballettfans – unter dem Weihnachtsbaum wiederfindet. ||

KARL AFRED SCHREINER: ASCHENBRÖDEL
Gärtnerplatztheater | 22./25. Dez., 18 Uhr; 28. Dez., 14 und
19 Uhr | Info und Tickets: www.gaertnerplatztheater.de

 


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