In der Rathausgalerie wird mit Fotos von Herbert List und anderen Zeitzeugen an die Kriegszerstörungen erinnert.

Aus der Entfernung wirkt das Münchner Rathaus auf dem Foto gar nicht so sehr beschädigt. Figuren und Zierrat der neugotischen Fassade sind abgeschlagen, die seitlichen Gebäude freilich lassen das ganze Ausmaß erahnen: 90 Prozent der Münchner Altstadt waren nach dem Krieg zerstört. Ein damals diskutierter Plan ging sogar so weit, die Trümmer ruhen zu lassen und eine neue Stadt am Starnberger See zu bauen. In der Rathausgalerie erinnert nun, 80 Jahre danach, eine Ausstellung von »Ruinenfotografie« an diese Zeit.

In der Kunstgeschichte gab es verschiedentlich Formen von Ruinenromantik. Fotopostkarten mit Trümmer-Motiven von Helmut Silchmüller lassen sich auch in dieser Tradition der Reminiszenz an vergangene Größe verorten; praktisch handelt es sich bei den Postkartensets »München 1945. Fotos der zerstörten Stadt« um – wohl erfolgreich verkaufte – Souvenirs. Foto-Silchmüller hatte sein Geschäft von 1934 bis 1970 in der Hohenzollernstraße 17, die Mappe ist dreisprachig betitelt, um den Absatz an Militärangehörige, Touristen, Auswärtige zu steigern. Eine Stute mit Fohlen grast vor der zerbomten Alten Pinakothek; das einst glanzvolle Künstlerhaus ist nicht zu erkennen; die Säulen ragen noch vor dem zerstörten Nationaltheater; der steinerne Löwe wacht über den Schutthaufen und vor der Ruine des Palais Wittelsbach. Es sind durchaus pittoreske Ansichten, meist von noch stehen gebliebenen Fassaden. Für deren architektonische Ordnung interessierte sich auch Herbert List, dem das Zentrum der Ausstellung gewidmet ist.

Lists Bilder dokumentieren teilweise diverse Zerstörungen, sind andererseits meisterhafte Kompositionen aus Licht, Schatten, Materialität und architektonischer Proportionen. List hatte unter dem Nationalsozialismus – in dessen Typologie: als »Vierteljude« – nicht als Fotojournalist arbeiten können. Von Paris aus, wo er 1935 seine Laufbahn als Fotograf startete, war er mehrfach nach Griechenland gereist, für ein Projekt »Licht über Hellas«, eine »photographische Symphonie« aus 160 Fotos, das aber durch Kriegszerstörungen als Buch nicht mehr realisiert werden konnte. 1945 kehrte er nach Herrsching und München zurück – und fotografierte die Stadt in Trümmern. Geplant war ein wiederum weitgespanntes (und ebenfalls nicht realisiertes) Buchprojekt »Die magischen Reste«, das sich nicht konkreter Topographie, etwa Münchens, sondern der Orte übergreifenden ästhetischen Faszination widmen wollte. Bilder mit tatsächlich magischer Wirkung, wie bei den Skulpturen in der zerstörten Kunstakademie. Faszinierend auch die (wenigen) Menschendarstellungen, etwa das Trümmer tragenden Mädchen und die erschöpft im Sonnenlicht ruhenden Männer am Wittelbacherbrunnen. 125 selbst gefertigte Abzüge kaufte das Münchner Stadtmuseum 1966 vom Fotografen an; heute beherbergt die Fotosammlung mit 1200 Abzügen und 80.000 Negativen und Kontaktbögen dessen komplettes Archiv. Lists Fotos wurden nun erneut als Buch herausgebracht – »Memento 1945. Münchner Ruinen«– und bilden in Originalgröße (digital reproduziert) das Herz der Ausstellung »Stadt in Trümmern« zur »Ruinenfotografie«.

Herbert List: »Neues Rathaus« (Originaltitel), München, um 1945 Gelatineentwicklungspapier Münchner Stadtmuseum | © Herbert List Estate, Hamburg Germany

Der Schuttberg neben der Pinakothek
Mit dieser Präsentation ist das Stadtmuseum – auf längere Zeit wegen Renovierung geschlossen – zu Gast in der Rathausgalerie (die selbst 2026 schließt, wegen der Interims-Auslagerung der Stadtkanzlei dorthin). In der schönen ehemaligen Kassenhalle des Rathauses trifft man am Eingang auf eine Liste der Bombenangriffe auf München, rechts dahinter dann auf eine Serie von nächtlichen Farbfotos der brennenden Stadt, die ein Turmwächter der Feuerwehr, Clemens Bergmann, heimlich gemacht hatte, während der Bombenangriffe, meist vom Turm der Frauenkirche aus. Die Zusammenstellungen – und Beschriftungen! – von selbst fotografierten Ansichten und gesammelten Fotopostkarten in Alben des Privatmanns Johann Danböck lassen sich digital durchblättern und bilden so eine subjektives, vielleicht repräsentatives, jedenfalls aber höchst interessantes Archiv des Stadtbildes. Allein dafür schon lohnt es, sich Zeit zu nehmen. Und auch zwischen den verschiedenen Stationen derAusstellung und ihren fotografischen Ansichten hin und her zu wechseln.

Den drastischsten Eindruck von den Zerstörungen vermitteln die Farbdias von Dorothea Brockmann. Die 80 Aufnahmen auf dem damals kaum verfügbaren Fotomaterial entstanden 1947 auf privaten Dokumentations-Spaziergängen. Als Scherenschnittkünstlerin verfügte sie über Sinn für Proportionen und Details, zugleich lassen die Fotos amateurhafte Züge erkennen, sind freilich genau mit Angaben zu Standort und Blickrichtung versehen. Mehrere prominente Gebäude – etwa die Residenz, das Wittelsbacher Palais, die Alte Pinakothek, hier mit hohem Schuttberg – und manche ähnliche Perspektiven finden sich auch inden Aufnahmen von List, Silchmüller oder Danböck wieder. Die von Fotomuseumsleiterin Kathrin Schönegg sorgsam kuratierte Ausstellung veranschaulicht auf Tafeln an den Außenseiten der Zwischenwände solche Überschneidungen und Vergleichbarkeiten exemplarischer Motive. Die Fotos selbst vermitteln Zugänge zu existenziellen historischen Erfahrungen, an die sich nur mehr wenige Lebende persönlich erinnern können. || tb

STADT IN TRÜMMERN. HERBERT LIST UND DIE RUINEN-
FOTOGRAFIE IN MÜNCHEN
Rathausgalerie Kunsthalle | Marienplatz 8 (Innenhof)
bis 17. Dez. | Di–Sa 13–19 Uhr, So 11–19 Uhr | Eintritt frei
Führung mit Marion Glaser (Stadtmuseum): 11. Dez., 17 Uhr
www.rathausgalerie-muenchen.de

 


Das könnte Sie auch interessieren: