Der Acker, das Pferd, die eigenen Dämonen: Arbeiten von Hannah Schillinger, Ian Kaler und Wim Vandekeybus bei der Tanzwerkstatt Europa.

Ian Kaler hat sich einen Zeh gebrochen. Für den ersten Teil seines Gastspiels bei der Tanzwerkstatt Europa (TWE) ist das ohne Bedeutung. Denn »Sentient Beings« ist eine rein filmische Bewegungs- und Empfindsamkeitsstudie, in der Kaler mit zwei Pferden zu sehen ist. Sein darauf aufbauendes Solo »And for the time being«, ursprünglich Teil eines Doppelabends, hätte Kaler für München ohnehin adaptieren müssen, nun überschreibt er es nach dem Muster der neuen choreografischen Reihe, die er im Februar 2025 mit »Unlikely Places: A Choreographic Play (Part 1)« im Tanzquartier Wien an den Start brachte: »Ein Script ähnlich einem Drehbuch ist hier der Ausgangspunkt für ein Bühnenstück. Das Voice-over und die Szenenüberschriften werden für das Publikum auf eine Texttafel projiziert und ich performe an der Schnittstelle von Bewegung, Verkörperung und Schauspiel mit Verschiebungen und Parallelen zum Text« – so Kaler.

Das Pferd als Partner und Ko-Performer – Filmstill aus der Video-Installation »Sentient Beings« von Ian Kaler | © Ethan Folk

Auf der filmisch-visuellen, auf der Text- wie der Performance-Ebene wird er im Schwere Reiter auch damit spielen, was seine aktuelle Verletzung mit der Bühnenfigur »The Rider« macht. Und der in Berlin lebende Österreicher ist ein so zurückhaltender wie hinreißender Performer. Kaler hat Transmediale Kunst in Wien, Choreografie in Berlin und »Film Making – Directing Fiction« in London studiert und bildet sich permanent weiter. In seinen meditativen, seriell angelegten Arbeiten befruchten sich Film und zeitgenössischer Tanz wechselseitig. Dasselbe gilt für das, was er »fiktionale und biografische Spuren« nennt.  Eine tiefe biografische Spur hat sein eigener Körper hinterlassen, der früher, als Ian sich noch An nannte, weiblich war. Und dann gibt es noch die Hufspur: »Ich habe mit sechs Jahren zu reiten begonnen und die Bewegungsform und der Umgang mit Pferden waren prägend für mich. Auch der Aspekt des Getragen-Werdens auf emotionaler und metaphorischer Ebene.« 2010, in seinem Abschluss-Solo »Save a horse, ride a cowboy«, hat Kaler die Erfahrung des Reitens, die Energie des Pferdes und die Kommunikation zwischen beiden erstmals in Körpersprache übersetzt, später hat er Pferde oft als Ko-Performer in seine Stücke eingeschleust. Welche Rolle sie da im Einzelnen übernehmen, lässt sich am besten selbst erkunden.

Sieben Stücke insgesamt sind vom 5. bis 15. August bei der Tanzwerkstatt zu sehen, eines davon stammt von Hannah Schillinger, die sich erst 2024 beim Nachwuchsformat »Who’s next?« vorgestellt hatte. Das gab es noch nie. »Field Works« ist die einzige Uraufführung des Festivals und die zweite TWE-Premiere nach der Eröffnung. Die bestreitet Wim Vandekeybus – ein Big Name seit fast vier Jahrzehnten, den man nicht mehr vorstellen muss. Sein neues Stück heißt »Void«, auf Deutsch: »Leere«. Aber das Temperament und die akrobatischen Skills der Tänzer hauen einen schon im Trailer um, in dem es Worte und Sprünge, Scherben und sprechende Hände, eng zusammengezurrte und weit ausgreifende Körper gibt. Die Belgische Presse spricht von einer der wildesten und bewegendsten Arbeiten von Ultima Vez seit langem und lässt Adjektive regnen: »roh, gewagt, agil, kraft – voll, sexy.«

 

Die ganze Kritik von Sabine Leucht finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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