Liebe – heiß wie Hölle, schwarz wie Nacht. So beschreibt sie Shakespeare. Dessen »Romeo und Julia« hat Christian Stückl mit einem Laienensemble in Oberammergau inszeniert.
Im Mai hatte am Residenztheater »Romeo und Julia« Premiere, Regisseurin Elsa-Sophie Jach erhielt viel Kritikerlob. Ihre Bühnenbildnerin Marlene Lockemann baute dafür ein großes, weißes Gerüst mit einer kleinteiligen Gitterstruktur, das auf beiden Seiten gefächerte Treppen wie Flügel ausfahren kann. In geschlossenem Zustand erinnerte es mich an das neue Justizstrafzentrum am Leonrodplatz: ein gesichtsloser Kasten mit unendlich vielen gleichförmigen Fenstern eng an eng – dort hoch, auf der Bühne quer. In diesem Kastengerüst verlieren sich die Schauspielerinnen, wenn sie nicht gerade exponiert von der Herrschaftsetage oben auftreten. Aber wenn die jungen Raufbolde darin rumklettern, muss man sie regelrecht suchen. Romeo und Julia robben für ihre Liebesszene bäuchlings auf einem Seitenflügel aufeinander zu, damit man sie im Gittergewirr nicht ganz übersieht, werden ihre Gesichter per Livekamera überdimensional projiziert. Die architektonische Struktur dominiert das Bild und entwertet die darin agierenden Menschen zur Nebensache. Bedauerlich für Zuschauer, die ihre Lieblinge sehen wollen.

»Romeo und Julia« auf dem Dache: Eva Norz und Yannick Schaap in Christian Stückls bunt-moderner Inszenierung © Arno Declair
Christian Stückl macht es in Oberammergau ganz anders. Der Volkstheater-Intendant hat schon drei Mal die Passion inszeniert und soll sie auch 2030 wieder leiten. Zur Talentsuche und Nachwuchsausbildung bringt er jeden Sommer mit Oberammergauer Laien einen Klassiker zur Aufführung im Passionstheater. Diesmal eben Shakespeares »Romeo und Julia«, große Liebe hat immer Konjunktur. Auf die Breitwandbühne stellt der erprobte Ausstatter Stefan Hageneier die Häuser der verfeindeten Veroneser Clans nebeneiner: links gelb und größer das von Julias Eltern Capulet, rechts grün, flacher und breiter das Heim von Romeo Montague. Beide haben praktischerweise einen Giebel mit Fenster und ein verbindendes Vordach, da kann Yannick Schaap – beruflich Dachdecker – bequem zu Eva Norz rüberlaufen. Modisch unterscheiden sich die Familien klar: Die Capulet-Frauen tragen bunte Streifen, die Mutter (die prächtige Sängerin Maria Buchwieser) einen Ascot-würdigen Hut. Und die Jungsclique schnieke Anzüge (darunter Pistolen), Thybalt sogar einen rosa Smoking. Vater Montague (Frederik Mayet) fegt standesgemäß im grünen Sakko eigenhändig vor der Haustür, sein Sprössling und dessen Gang dagegen rüpeln in Lederjacken mit Fuchsschwänzen am Gürtel auf Mopeds und Fahrrädern herum. Und suchen Streit mit den feinen Youngsters, vor allem der Maulheld Mercutio (Rochus Rückel, einer der beiden Jesusse 2022) provoziert, wo er nur kann und hat schnell ein Messer bei der Hand. Was zu zwei Leichen führt – Tybalt und Mercutio.

Yannick Schaap, Rochus Rückel, Nanno Hensold, Jonathan Lück, Maximilian Bender in „Romeo und Julia“ (c) Arno Declair
Romeo leidet anfangs depressiv an Liebeskummer. Doch als er beim Fest der Capulets Julia sieht, schlägt der Coup de foudre ein, bei Julia genauso, die Amour fou nimmt ihren Lauf. Yannick Schaap hat mit seinem lässigen Charme absolut das Zeug zu einem Protagonisten der nächsten Passion. Als Romeo merkt, dass Julia zu den Feinden gehört, rutscht ihm ein drastisches »Scheiße!« heraus. Denn Stückl hat in seiner Fassung die Ausdrucksweise der Rüpelgang drastisch in vulgärem Jugendslang formuliert. Den jungen Darstellern geht das frisch von den Lippen. Ihre Actions sind schwungvoll, die Kämpfe gut choreografiert.
Nach der Pause ändert sich der Ton zum Ernsteren: Leichte Komik bringen Julias Vertraute Anne (Emma Burkhart) und Pater Lorenzo (Benedikt Fischer) als bodenständiger Streetworker auf dem Fahrrad ein. Er hat das probate Mittel, um Julias drohende Verheiratung mit dem Schönling Paris (Julius Iven) zu verhindern. Nur leider wendet eine nicht zugestellte wichtige Nachricht an Romeo (Shakespeare kannte die Deutsche Post noch gar nicht!) alles ins Tragische.
Ein großartiger Moment: Romeo schiebt die beiden Häuser auseinander, um in die vernebelte Gruft zu kommen, wo die scheintote Julia liegt. Dahinter sieht man endlich auch das Orchester und den Chor, die live die Musik von Markus Zwink gespielt und gesungen haben. Der Showdown geht dann sehr plötzlich, Peng, Bumm, ein Schluck Gift, alle tot.
Eine sehenswerte Aufführung, vor allem im Kontrast zur Resi-Inszenierung. Aus dem Ensemble wird man bestimmt einige der frischen Darsteller in den nächsten Sommerstücken und der kommenden Passion wiedersehen.
Oberammergau | Passionstheater | 25., 26. Juli, 1., 2. Aug. | Tickets: 08822 32488 | www.passionstheater.de
Weitere Besprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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