Leicht hat man es mit Morrissey nicht, aber er kann einem viel geben. Beispielsweise einen Abend im Zenith.

Morrissey

Der Schwierige

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Morrissey | © Universal Music

Wie schön ist es oft, sich genüsslich im Elend zu suhlen. Was ist blinder Optimismus gegen ein paar Runden im Ozean der Verzweiflung? Und was wäre ein besserer Soundtrack zum Schwimmen und Untergehen als ausgewählte Werke von Morrissey, dem großen Märtyrer der Popmusik? In seinen Liedern hört man das übermenschliche alltägliche Leiden, da trifft Romantik auf Realität und Sensibilität auf eine Stinkwut. Eben der Rettungsanker für die unverstandenen Teenager aller Altersgruppen. Dass seine Band The Smiths eine der bedeutendsten Gruppen der Achtziger war, sollte im kollektiven Unterbewusstsein des Pop verwurzelt sein. Der unschätzbare Wert von Solotiteln wie »Everyday is Like Sunday« ebenfalls. Die Geschichte des Indierock wäre ohne den Theatraliker aus Manchester eine andere. Gleichzeitig gibt es wenige Musiker, die trotz ihres anerkannten Status eine solch konstante Feindesgemeinschaft haben wie er. Für einige macht er sicher zu viel Drama. Hier wird nicht auf die Tränendrüse gedrückt, sondern gleich die Faust ins Auge gerammt und das Veilchen anschließend mit Rosenblüten bedeckt. Leise kommt da das Gefühl auf, dass sich Morrissey seit jeher künstlich am Leiden erhält. Nun ja, laut seiner 2013 erschienenen Autobiografie ist klar jeder an allem schuld, außer er selbst.

Doch kann man das wirklich verurteilen, wenn es die Haupttriebfeder eines Künstlers ist und dabei auch noch Gutes herauskommt? Sicher, die ganz großen Heldentaten liegen schon etwas zurück. Aber wurde man einmal vom Morrissey-Virus infiziert, reagiert das Herz auch auf eher mittelmäßige Veröffentlichungen mit Lichtmomenten, gerade wenn neben der ganzen Traurigkeit immer wieder Witz und Selbstironie hervorsprießen.

Unkomplizierter wird der Zeitgenosse dadurch aber auch nicht. Da werden mal Thatcher, mal Damien Hirst, mal Tony Blair zur Hölle gewünscht. Gern kommt der radikale Tierschützer durch, der spontan das Konzert absagt, wenn die Location »Schlachthof« heißt. Einer, der Massentierhaltung über Amokläufe stellt. Das alles war man bereits gewohnt, wirklich vom Glauben fielen viele Fans dann vor einigen Jahren ab, als Morrissey sich nicht ganz so glücklich mit der Migration nach Europa zeigte. Im Zuge der Ausführungen wurde da Berlin zur »Vergewaltigungshauptstadt« erklärt. Wie geht man damit um, wenn der Antihel plötzlich in die eigene Richtung schießt? 2017 äußerte sich Nick Cave, eine weitere Koryphäe alternativer Popmusik zu dieser Causa: »Er hat (…) Werke von unvergleichlicher Schönheit geschaffen, die seine beleidigenden politischen Bündnisse überdauern werden. (…) Vielleicht ist es besser, Morrissey einfach seine Ansichten zu lassen. Ihnen wann und wo immer möglich entgegenzutreten, aber seine Musik weiterleben zu lassen. Besonders wenn man bedenkt, dass wir alle konfliktbehaftet sind.« Wenn man das partout nicht kann, wäre es gescheiter, sich komplett von Kunst fernzuhalten. Der Ozean der Verzweiflung hat auch so genug Strudel, in denen man sich verfängt. Aber in einigen dreht man sich dann doch unglaublich gern. ||

MORRISSEY
Zenith | Lilienthalallee 29 | 30. Juni | 20 Uhr | Tickets: 089 54818181 | Website

Weitere Vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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