»Grey«: Mit Coolness und akrobatischem Wumms erobert das erste Tanzstück am Münchner Volkstheater nicht nur das junge Publikum.

Grey

Vom Dunklen ins Helle

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Street-Dance-Elemente in der Produktion »Grey« von Serhat »Said« Perhat © Gabriela Neeb

Etwas ist passiert. Bevor die ersten zwei Menschen auf die dunkle Bühne kommen, ist eine Welt untergegangen. Mindestens. Stumm sitzen sie an der Rampe und schauen in eine Art Scheinwerfer mit blinkenden Tasten. Finster schnarrt der Sound, abgerissen sind alle Kleider, die aussehen wie die von Wüstenbewohnern im Fantasyfilm: faltenreiche, weite Hosen in all shades of grey – und Kapuzen, in denen die Gesichter gleich mit verschwinden. Das Programmheft verrät, dass mit »Metro 2033« ein dystopischer Roman von Dmitri Alexejewitsch Gluchowski Pate stand für »Grey«. Für die Überlebenden einer Strahlenkatastrophe geht es darin um alles.

Wer ihn kennt, mag den Roman als Wegweiser benutzen. Aber sonderlich wichtig ist das nicht. Denn im allerersten Tanzstück im Münchner Volkstheater fliehen und begegnen sich zwar offensichtlich diverse Menschen und soziale Gruppen in sehr unterschiedlich temperierten Situationen wie eigentlich immer im Theater, aber das wahre Pfund des Abends ist ein anderes. Volkstheater-Intendant Christian Stückl hat den Breakdancer Serhat »Said« Perhat im Rio-Kino kennengelernt, als gerade ein Film über ihn gezeigt wurde. Denn der 1997 in München geborene Sohn uigurischer Eltern ist ein Star der Szene: 2021 war er Deutscher Meister, 2024 im olympischen Breakdance-Kader. Mit der unvergleichlichen Spontaneität, für die man Stückl einfach lieben muss, hat er ihn gefragt, ob er mal was an seinem Haus machen wolle. Said wollte, hat sich mit der Choreografin Sophie Haydee Colindres Zühlke zusammengetan und mit einer coolen Streetdance-Crew of nine, in der gerade die beiden Tänzerinnen auf der Bühne starke Führungsrollen einnehmen. Und nun hat das Schlachthofviertel einen Hit: akrobatisch, elektrisierend, jung und immer ausverkauft. Andere denken sich dafür die Stirn faltig. Stückl macht.

Ein paar transparente Vorhangbahnen und ein spiraliges Gerüst bilden die Bühne, auf der die neun einander beschnuppern und bekämpfen, bis der Kampf sich in etwas anderes verwandelt. Es gibt finster-poetische Schattenspiele, toughe Soli voller Freezes, Headspins und Unausdenkbarem wie bei einem Breakdance Battle – und zeitgenössische Moves, die Verbindungen schaffen. Der 70-minütige Abend kommt nicht sofort auf Touren, hat aber diese Alles-aus-einem-Guss-Vibes guter Jugend- und Kollektivproduktionen. Auch Bühnen-, Licht- und Sounddesigner kommen aus der Szene, ihre Künste antworten aufeinander, und die Bewegungen der Tanzenden zunehmend auch. Körpergespinste nehmen zu, die Solidität der Gruppe wird abgetastet und manchem Stress test unterzogen. Am Ende hängen sie im Gerüst, das nach oben führt. Alle haben Platz. Und vielleicht geht es so dem Hellen entgegen. ||

GREY
Münchner Volkstheater | Tumblingerstr. 29 | 19., 20., 22., 23. Juni, 7., 8. Juli (Termine 10. Mai bis 4. Juni ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse) | 20 Uhr | Tickets

Weitere Artikel zum Tanzgeschehen in München findet ihr in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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